Glücksspiel kann süchtig machen, das wusste auch Dostojewski. Zu Georg Münzels Inszenierung im Altonaer Theater
Die Kritik
„Sie wird alles verspielen. Wir werden alles verspielen, wenn wir so weiter spielen wie bisher.“ Mit tonloser Stimme und leerem Blick trägt Alexej Iwanowitsch (Jascha Schütz) diese Erkenntnis vor. Das geschieht nach der Pause von Georg Münzels Inszenierung „Der Spieler“ nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewski, aber da ist sowieso schon alles den Bach runtergegangen. Denn „sie“ ist wider Erwarten erschienen im Casino von Roulettenburg und macht damit die Hoffnung aller Anwesenden zunichte. „Sie – das ist die reiche Großtante aus Moskau. Ihren Telegrammen zufolge hätte man auf ihren baldigen Tod und damit auf eine stattliche Erbschaft schließen können. Vor allem ihr Großneffe, der General, hatte dringend mit einem Geldsegen gerechnet, weil er alles verspielt hat, massiv in der Kreide des Marquis des Grieux steht und außerdem eine Ehe mit Mademoiselle Blanche anstrebt.
Geld braucht hier jeder in diesem gediegenen Raum mit den grünen Tapeten und den teuren Holzmöbeln. Denn über Geld definiert sich diese Gesellschaft. Wer es hat, ist angesehen und ohne Schwierigkeiten bei der Partnerwahl. Wer es nicht hat, ist eben ein armer, bestenfalls zur Lächerlichkeit verdammter Teufel, der nicht auf Mitgefühl zählen darf. Zwischenmenschliche Beziehungen hängen allein vom Kontostand ab. Der wird allerdings so nicht benannt, da Münzels Inszenierung die Handlung durch Kostüme und Bühne (Ausstattung: Birgit Voß) nach der Romanvorlage im 19.Jahrhundert verortet. Aber Parallelen zu Heute kann das Publikum ja selbst ziehen.
Der Schauspieler Jascha Schütz ist die Entdeckung des Abends.
Bei eingeschaltetem Saallicht versammelt sich nach und nach ein Volk voller Karikaturen um den Spieltisch: Da ist der überdrehte, sich ständig verhaspelnde General (Dirk Hoener), der beflissene Marquis des Grieux (Alexander Klages) mit seinem schlecht ausgesprochenen Französisch, der hochnäsige Mr. Astley (Sebastian Prasse), die später wunderbar singende, aber sonst meist bedeutungsvoll vor sich hin lächelnde Mademoiselle Blanche (Valerija Laubach) und die verwöhnte Polina (Isabelle Victoria Ginocchio). Guido Höper, der später mal den Croupier, mal den Diener der Großtante spielt, erzeugt mit der Beatbox einen Loop aus den ausgetauschten Höflichkeitsfloskeln, die dadurch noch hohler wirken. In diese merkwürdige Gesellschaft gerät Alexej Iwanowitsch. Er ist angestellter Hauslehrer beim General und unglücklich verliebt in Polina. Der Schauspieler Jascha Schütz ist die Entdeckung des Abends. Völlig verstört nähert er sich der Bühne durch den Zuschauerraum. Schmal und blass ist er, seine Verzweiflung darüber, ob er Polina nun liebt oder hasst, lässt ihn so fahrig werden, dass er sogar ihren überspannten Befehlen gehorcht. Dennoch zeigt dieser Alexej, dass er klüger ist als die anderen. Dass er ihnen mit seiner Ironie, seiner Argumentation und seinem Wortwitz überlegen ist. Und es ist nicht nur sein durch und durch überzeugendes Spiel, sondern auch die hohe Sprechkultur, mit der dieser junge Schauspieler den Abend trägt.
Wer einmal gewinnt, will mehr. Wer verloren hat, will sein Glück noch einmal versuchen.
Wenn Jacques Ullrich als quietschfidele, aber sehr bestimmte Großtante ebenfalls durch den Zuschauerraum auftritt, kommt Tempo auf. Da wird die Tante in rasanter Fahrt und mit der gesamten Gesellschaft im Schlepptau mehrfach um den Tisch gerollt, bis sie endlich ihren Platz am Spieltisch findet und sich von Alexej die Regeln erklären lässt. In den Momenten, wenn sie ihr Geld setzt und die Kugel rollt, bleibt die Zeit stehen. Alle Figuren starren wie eingefroren auf den Tisch, über die Beatbox ist ein Sound wie das Rollen einer klappernden Kugel zu hören – dann erst wird die Zahl oder die Farbe genannt und die Erstarrung löst sich. Wer einmal gewinnt, will mehr. Wer verloren hat, will sein Glück noch einmal versuchen. So läuft das beim Glücksspiel, und schon ist man mitten drin im Teufelskreis. Dostojewski hatte selbst seine Erfahrungen damit gemacht und in Alexej sein Alter Ego geschaffen. Der weiß ja, dass am Ende alle alles verlieren werden. Und trotzdem spielt auch er immer weiter.
Näheres unter: https://www.altonaer-theater.de/programm/der-spieler/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Spielsucht
- Gier
- Dominanz von materiellen Abhängigkeiten über zwischenmenschliche Beziehungen
Formale Schwerpunkte
- Einbeziehen des Zuschauerraums als Spielort
- Szenische Aufstellung der Figuren
- Überzeichnung einiger Figuren
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
- ab 16 Jahre, ab Klasse 10
- empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Im Zentrum der Handlung steht Alexej Iwanowitsch, der als Hauslehrer bei einem General angestellt ist. Er ist unglücklich verliebt in dessen Stieftochter Polina und hatte vergeblich versucht, sie bei einer Reise nach Paris zu vergessen. Nun kehrt er zurück nach Roulettenburg, einem fiktiven Ort in Deutschland mit großem Spielcasino. Dort trifft er nicht nur auf Polina, sondern auch auf den General und ein paar Mitglieder des europäischen Adels. Der General schuldet dem französischen Marquis Des Grieux eine Menge Geld, im Spiel hat er bislang nur verloren. Insofern wartet er und mit ihm der Marquis sehnsüchtig auf den Tod der reichen Großtante, um mit deren Erbe die Geldnöte des Generals zu beenden. Zu ihrem großen Erstaunen taucht aber eben diese Tante urplötzlich auch in Roulettenburg auf, ist quietschfidel und ebenfalls sehr am Roulette interessiert. Entgegen aller Warnungen lässt sie sich von Alexej in das Spiel einführen und beginnt Unsummen zu setzen. Nach anfänglichen Erfolgen und Riesengewinnen wendet sich das Blatt und sie verliert alles. Auch Alexej ist vom Roulette infiziert. Er setzt sein letztes Geld, gewinnt mehr und mehr und verliert am Ende ebenfalls alles – das Geld und sich selbst.
Mögliche VorbereitungeN
Über Referate, als vorbereitende Hausaufgabe oder in Gruppenarbeit:
- Biografie zu Dostojewski
- Inhaltsangabe zu „Der Spieler“
- Spielsucht: Ursachen, erste Anzeichen, Verlauf, Therapiemöglichkeiten
Im Unterrichtsgespräch
- Welche Art von Sucht kennt ihr?
- Computerspiele: Worin liegt ihre Faszination? Worin liegt die Suchtgefahr? Wie kann man gegensteuern? Welche Menschen sind besonders gefährdet?
- Kann die die Nutzung von Social Media zur Sucht führen?
Speziell für den Theaterunterricht:
Die übertreibende Schlange
Die Gruppe geht hintereinander (Formation: Schlange) mit maximal 10 Spieler*innen durch den Raum. Der/die Spieler*in am Kopf gibt eine bestimmte Gangart vor, die nachfolgenden Spieler*innen steigern diese Gangart bis der/die letzte sie in völliger Übertreibung ausführt. Dann wechselt der/die letzte Spieler*in nach vorne und führt ebenfalls eine Gangart aus usw.
Die übertreibende Reihe
Drei Gruppen mit je Spieler*innen sitzen oder stehen in einer Reihe. Spieler*in A vollführt eine Geste (Gruppe 1), eine Bewegung (Gruppe 2) oder eine bestimmte Mimik, (Gruppe 3) Spieler *in B steigert, Spieler*in C übertreibt maximal.