Einfach mal zur Ruhe kommen. Keine Handlung erkennen oder gar analysieren müssen. Sondern sich mitnehmen lassen in die wundersame Welt des Philippe Quesne und zuschauen, wie er in „Vampire’s Mountain“ am Hamburger Schauspielhaus heiter und poetisch der drohenden Apokalypse begegnet.

Die Kritik
Zu sehen ist erst einmal: Nichts. Alles dunkel im Saal und auf der Bühne. Aber leise Gesänge sind zu hören. Sie scheinen irgendwo aus dem Unterboden zu kommen – und tatsächlich: In schummeriger Beleuchtung öffnet sich eine Klappe, und nacheinander treten sieben eigenartige, zottelige Gestalten heraus. Mit ihren Reißzähnen und der bleichen Haut sind sie unschwer als Vampire zu erkennen. In ihren Kostümen erinnern sie ein wenig an Heavy-Metal-Jünger.
Das ist eines der vielen Augenzwinkereien, die „Vampire’s Mountain“ von Philippe Quesne auszeichnet. Der französische Regisseur, Szenograf und Dramatiker ist mit seiner 2003 gegründeten Performancegruppe Vivarium Studio in Hamburg bereits häufiger Gast auf Kampnagel gewesen, jetzt inszeniert er zum ersten Mal am Deutschen Schauspielhaus und führt Ensemblemitglieder wie Saschika Hara, Sasha Rau, Bettina Stucky und Samuel Weiss mit Jean-Charles Dumay, Sébastien Jacobs und Martin Zamorano aus dem Studio Vivarium zusammen. Quesnes Theater ist das Gegenteil von Action und Schnelligkeit. Er nimmt sich alle Zeit der Welt, beobachtet seine Darsteller:innen und lädt das Publikum ein, ihnen, den Bildern und den wie beiläufig entstehenden Szenen zu folgen. Er führt Regie, kreiert Konzept, Bühne und Kostüme und schafft damit ein in sich geschlossenes Gesamtszenario – ohne erkennbare Handlung.
„Ich hatte einen Traum, der nicht ganz ein Traum war.“
In „Vampire’s Mountain“ lässt er die Untoten auf die Welt blicken und sich in ihr bewegen. Im fahlen Licht betrachten die Vampire erstaunt einen Wald mit abgestorbenen Bäumen. Aus dem Unterboden hieven sie einen Sarg hervor, in den sich jede:r mal stellen und „mit oder ohne Nebel?“ unheimlich wirken darf. Blutige Körperteile werden als Telefonhörer oder als Karaffe benutzt, das allgemein als Furcht erregend Empfundene verliert seinen Schrecken, genauso wie das aus den tiefsten Bronchien hervorgeächtzte Lachen. Wenn das Wald-Prospekt fällt, sieht man ein weiteres mit Eisbergen in gleißendem Licht. Aber ja, es gibt die Klimakatastrophe, die Gletscher schmelzen. Das Prospekt sinkt langsam herab. Doch mit ein bisschen weißer Farbe und der Aufschrift „LOVE“ steigt es wieder auf. Dann fällt auch dieses Prospekt und gibt den Blick frei auf eine dunkle, bis zur Brandmauer aufgerissene Bühne. Das geöffnete Tor zum Lager gibt Licht, aber es verweist auf Chaos und Leere. Unermüdlich wird die Schauspielerin Bettina Stucky auf einem Wagen im Kreis um die Bühne gezogen. Sie liest Lord Byrons „Dunkelheit“. Es beginnt mit den Sätzen „Ich hatte einen Traum, der nicht ganz ein Traum war/ Die helle Sonne war erloschen, und die Sterne irrten finster im ewigen Raum“. Ein Text von 1816, er beschreibt die Apokalypse und kann aktueller nicht sein. Mit jeder Runde reiht sich ein Ensemblemitglied hinter den Wagen – und so trotten sie minutenlang über die Bühne – ein Zug, der an Gaza denken lässt.
„Ach wie flüchtig/ ach wie nichtig/ ist der Menschen Leben!“ – Leitmotivisch singt das Ensemble den von Johann Sebastian Bach vertonten Text von Michael Franck. Die bedrohte Natur, die durch Kriege zerstörte Welt – all das spricht dieser knapp zweistündige Abend an. Allerdings ohne Verbitterung, ohne fingerzeigende Anklage, eher mit Melancholie und Humor. Dadurch entsteht ein ganz wunderbarer Zauber, der sich auch auf die nervösesten Zuschauer:innen überträgt. Seltsam beglückt verlässt man danach das Theater.
Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/vampires-mountain
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Klimakatastrophe
- Waldsterben
- Kriege
Formale SchwerpunKte
- Assoziative Szenenfolgen
- Beiläufiges, kaum hörbares und privat wirkendes Sprechen
- Gesänge
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 17/18 Jahre, ab Klasse 12
- Empfohlen vor allem für den fortgeschrittenen Theaterunterricht, evtl. auch für den Kunstunterricht
Zum Inhalt
In Philippe Quesnes Produktionen gibt es statt eines Handlungsfadens eine Assoziation von Bildern und Szenen, die sich zu einem Gesamtkonzept fügen.
Vampire steigen aus der Unterwelt bzw den Gräbern, betrachten das Waldsterben, das Abschmelzen der Gletscher und eine durch Kriege zerstörte Welt.
Mögliche Vorbereitungen speziell für den Theaterunterricht
Recherche zu
- Arbeiten von Philippe Quesnes und dem Studio Vivarium
- Lord Byron: Dunkelheit
- Unterschiedlichen Regiestilen (Wilson, Brecht, Stanislawski, Marthaler)
Im Unterrichtsgespräch:
Herausarbeiten der Charakteristika von Quesnes Theater, evtl. im Vergleich mit anderen Regiestilen
Praktische Erarbeitung
Erstellen von Szenen zu den inhaltlichen Schwerpunkten von „Vampire’s Mountain“
Die Spielleitung teilt den Kurs in die Gruppen A, B, C. Jede Gruppe erhält eine eigene Aufgabe
Gruppe A
Ihr seid in einem Wald voller abgestorbener Bäume.
Sucht euch im Internet einen passenden Text oder nutzt Teile aus Byrons „Dunkelheit“, und kürzt ihn auf die euch wichtigen Aspekte.
Erstellt mit den euch bekannten theatralen Mittel (Formationen, unterschiedliche Tempi usw) und notwendigen Requisiten dazu eine Szene.
Der Text kann auf eine von euch gewählte Form präsentiert werden (über einen Erzähler/eine Erzählerin, aus dem Off, verteilt auf die Spielenden o.ä.).
Die Verwendung von Musik ist möglich.
Gruppe B
Ihr seid in der Arktis und bemerkt, dass die Gletscher geschmolzen sind oder gerade schmelzen.
Sucht euch im Internet einen passenden Text oder nutzt Teile aus Byrons „Dunkelheit“, und kürzt ihn auf die euch wichtigen Aspekte.
Erstellt mit den euch bekannten theatralen Mittel (Formationen, unterschiedliche Tempi usw) und notwendigen Requisiten dazu eine Szene.
Der Text kann auf eine von euch gewählte Form präsentiert werden (über einen Erzähler/eine Erzählerin, aus dem Off, verteilt auf die Spielenden o.ä.).
Die Verwendung von Musik ist möglich.
Gruppe C
Ihr seid in einer von Kriegen zerstörten Landschaft/ Stadt.
Sucht euch im Internet einen passenden Text oder nutzt Teile aus Byrons „Dunkelheit“, und kürzt ihn auf die euch wichtigen Aspekte.
Erstellt mit den euch bekannten theatralen Mittel (Formationen, unterschiedliche Tempi usw) und notwendigen Requisiten dazu eine Szene.
Der Text kann auf eine von euch gewählte Form präsentiert werden (über einen Erzähler/eine Erzählerin, aus dem Off, verteilt auf die Spielenden o.ä.).
Die Verwendung von Musik ist möglich.
Präsentation und Feedback