Richard III

Hass kommt von hässlich. Nirgendwo sonst in der Literatur wird das deutlicher als in Shakespeares Tragödie „Richard III“.  Im Gastspiel der Berliner Schaubühne beim Hamburger Theaterfestival zeigt das Monstrum gefährlich charismatische Züge. Kein Wunder, Lars Eidinger spielt die Titelrolle. 

Scheusal und gefährlicher Verführer: Richard III (Lars Eidinger) – Foto: Arno Declair

Die Kritik

Die Party ist in vollem Gange. Konfettikanonen versprühen Gold- und Silberschnipsel, der Sekt fließt in Strömen, die Musik wummert. Etwas verspätet mischt sich eine verwachsene Gestalt unter die Feiernden: Richard, der behinderte Sohn des gastgebenden Königs. Möglich, dass die Partygäste nicht auf ihn gewartet haben, wohl aber das Hamburger Publikum. Denn kaum hatte das Hamburger Theaterfestival die Tickets für die beiden Vorstellungen freigeschaltet, waren sie auch schon ausverkauft, restlos. Fast wie bei Taylor Swift. Für die Inszenierung von Thomas Ostermeier ist es auch in Berlin nach wie vor nicht einfach, Karten zu bekommen, und das, obwohl die Premiere bereits neun Jahre zurückliegt. Insofern war es ein Riesenglück, dass Festivalleiter Nikolaus Besch die Produktion in diesem Jahr ins Hamburger Schauspielhaus einladen konnte. 

Gespielt wird relativ dicht an der Rampe und damit wie damals bei Shakespeare dicht an den Zuschauenden. Vor der Fassade einer klobigen Burg steht ein Stahlgerüst mit Treppen, Leitern und unterschiedlichen Ebenen, von oben hängt zusammen mit zwei Turnringen ein 50er-Jahre- Mikrofon (Bühne: Jan Pappelbaum), am Rand rechts hat Thomas Witte sein Schlagzeug aufgebaut. Er gibt den Rhythmus für den zweieinhalbstündigen Abend vor und verstärkt die eingespielten Elektrorockklänge (Musik: Nils Ostendorf). Eidingers Richard greift sich ab und an das Mikro und röhrt seine Texte hinein, laut, wuchtig und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, und schleudert es danach von sich. 

Eidingers Richard flirtet mit dem Publikum, macht es zu seinem Komplizen.

Der Grundton der Inszenierung ist damit gesetzt: Düster, unheimlich, brutal geht es hier zu. Denn Richard, der durch seinen Körper Benachteiligte, ist voller Hass auf seine beiden Brüder und alle, denen es das Schicksal leicht zu machen scheint. Wer so aussieht wie er, sagt er, sei „nicht geschaffen für so ausgelassene Kunststücke“ und meint damit die lustige Party.  Wenn er schon äußerlich hässlich ist, dann ist es nur konsequent, dass auch sein Wesen hässlich ist. Richard entschließt sich, sich an allen für sein So-Sein zu rächen. Das geht nur über den Thron. Um den zu erreichen, muss er eine Menge Leute, darunter seine Brüder und andere Verwandte, aus dem Weg räumen und Ehen eingehen, die ihm nützlich sein können. Dass die Frauen nicht auf ihn fliegen, ist klar. Mit schwarzer Kopfbandage über fettigem Haar, Buckel, Klumpfuß und zu engem Jackett (Kostüme: Florence von Gerkan) ist Lars Eidingers Richard weit weg von einem klassischen Verführer. Aber er kann Gefühle heucheln und so tun, als sei sein Herz das reinste unter der Sonne, wenn er zuerst um Lady Anne (in den Hamburger Vorstellungen: Magdalena Lermer) und später bei seiner Schwägerin Elisabeth (Eva Meckbach) um seine Nichte wirbt (dabei hatte er kurz zuvor Elisabeths Mann Clarence, also seinen Bruder, eiskalt ermorden lassen). Dann weint er, gibt sich zerknirscht und voller Reue, und tatsächlich vergisst die jeweils Angesprochene, was für ein Scheusal da vor ihr steht. Dem Publikum geht es übrigens nicht anders, denn Eidingers Richard flirtet mit ihm, macht es zu seinem Komplizen. Mit „Du siehst scheiße aus. Heute schon geleckt?“, verhöhnt er seinen Getreuen Buckingham, nachdem er ihm voller Wut eine Schokoladentorte ins Gesicht geschleudert hat. „Und jetzt alle!“, animiert er das Publikum – und tatsächlich geht ihm ein Teil auf den Leim und skandiert mit. So einfach ist es also, die Menschen zu verführen. 

„Morgen sitz ich schwer auf deiner Seele.“

Eidinger versprüht ein gefährliches Charisma, mit dem er alle umgarnt. Seine Bösartigkeit  treibt diesen Richard an auch nach der Thronbesteigung immer weiter zu morden. Bis sich sein Schicksal wendet. Ausschlaggebend dafür ist Buckingham, in Hamburg differenziert und genau gespielt von Damit Avdic. Er empfiehlt sich als Richards Spin Doctor und plant ohne moralische Bedenken dessen Weg an die Macht, weil er sich selbstverständlich Vorteile davon erhofft. Natürlich bekommt er nach getaner Arbeit: gar nichts. Stattdessen wird er (siehe Schokoladentorte) schändlichst gedemütigt. Ein Schelm, wer dabei an Trump und sein Gefolge denkt. Richard aber geht es an den Kragen. Buckingham und andere Grafen rücken mit Truppen gegen ihn vor. Im Traum erscheinen ihm alle seine Opfer von den Frauen über die Kinder (hier als Puppen dargestellt) bis zu den Brüdern. „Morgen sitz ich schwer auf deiner Seele“, flüstern sie. Richard ist am Ende. Ein letzter Schwertkampf gegen sich selbst, dann wird er wie ein Vieh an einem Bein nach oben gezogen. 

Ein wuchtiger, mitreißender Abend mit einem großartigen Ensemble und einem fantastischen Lars Eidinger. Stehende Ovationen, was sonst? 

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