Bis an die Grenzen des Erträglichen mit Akrobatik, Stunts, Tanz und Performance. Zu Florentina Holzingers überwältigendem Bühnenereignis beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.
Die Kritik
Shakespeares Ophelia ist eine unglückliche Figur. Erst ersticht ihr Geliebter Hamlet versehentlich ihren Vater, darauf verfällt sie in tiefe Depressionen – im Drama „Hamlet“ wird sie als Wahnsinnige bezeichnet – und schließlich bricht der Ast, auf dem sie sitzt und einen Kranz flicht. Sie fällt in einen Bach und ertrinkt. Ophelia ist eine zerbrechliche, fragile Gestalt. Selbstbestimmtes Handeln ist ihr nicht vergönnt.
Nicht so bei Florentina Holzinger. Die 37jährige Wiener Performance-Künstlerin hat diese in der Kunstgeschichte stetig auftauchende Figur interessiert, ebenso wie andere weibliche Wasserwesen, beispielsweise Undine, die Sirenen oder die durch Hans Christian Andersens Märchen berühmt gewordene Meerjungfrau. Herausgekommen ist die an der Berliner Volksbühne produzierte 155-minütige Arbeit „Ophelia’s Got Talent“. Ein überwältigendes, alle Register ziehendes Ereignis. In Berlin stehen Besucher Schlange auf der oft vergeblichen Suche nach Restkarten, eine Einladung zum diesjährigen Berliner Theatertreffen adelte die Produktion zusätzlich.
Das Wasser ist Freund und Gegner zugleich.
Auch beim Internationalen Sommerfestival sind die drei Vorstellungen ausverkauft, Holzinger hat hier sozusagen ein Heimspiel. Immerhin hat sich die Künstlerin hier über sieben Einladungen hin entwickelt, angefangen mit einer Duo-Performance bis zu diesem Riesenspektakel mit einer 21-köpfigen, wie immer ausschließlich weiblichen Crew aus Comedy, Stunts, Akrobatik, Tanz, Performance. Wie immer agieren Holzinger und ihre Performerinnen überwiegend unbekleidet. Verletzlichkeit und Selbstbestimmung lassen sich darin erkennen. Der weibliche Körper entzieht sich der sexualisierten Betrachtungsweise, wird zum eigenständigen Statement.
Das Wasser ist Freund und Gegner zugleich, körperliche Grenzen werden ausgetestet bis hin zu lebensgefährlichen Situationen. Da gibt es drastische Darbietungen wie das live zu sehende Angelhaken-Piercing im Gesicht einer Performern oder das von einer Kamera begleitete Schlucken eines Schwertes. Das Innere der Speiseröhre, des Magens – alles überträgt die Kamera auf die seitlich der Bühne aufgestellten Leinwände. Nichts ist gestellt, alles ist echt. Die anspruchsvolle Houdini-Nummer wäre am ersten Abend fast schiefgegangen. Die in Ketten gefesselte Künstlerin schaffte es unter Wasser nicht, sich zu befreien und bekam Atemnot, Techniker von Kampnagel mussten sie retten.
Daneben aber gibt es auch poetische Momente, wenn etwa ein kleines Mädchen ganz alleine ein Lied vom Wasser singt oder wenn die Performerinnen synchron zur Musik in dem angestrahlten Becken schwimmen. Der Clou ist am Schluss der von oben heruntergelassene Helikopter. Auch der ist echt. Aber vielleicht ist das auch eine Überdrehung zu viel in diesem fordernden Spektakel.
Weitere Informationen unter: https://kampnagel.de/internationales-sommerfestival