Lobby Hero

Kenneth Lonergan hat Drehbücher zu Filmen wie „Gangs of New York“ geschrieben und bei dem Oscar-prämierten „Manchester by the Sea“ auch noch Regie geführt. Dass er darüber hinaus richtig gute Theaterstücke schreiben kann, beweist sein Zwei-Akter „Lobby Hero“. Zu Clifford Deans fesselnder Inszenierung am English Theatre.  

In moralischer Bedrängnis: Jeff (Ned Rudkins-Stow, li) und William (Daniel Gregory) – Foto: Stefan Kock

Die Kritik

Jeff ist eine ausgemachte Labertasche. Seinen Dienst als Wachmann in einem Mittelklasse-Apartment irgendwo in Manhattan versieht er mehr schlecht als recht, was seinen Vorgesetzten William auf die Palme bringt. Aber weil Jeff zwar nie die Klappe halten kann, dennoch aber richtig sympathisch ist und zudem durchaus moralische Ansprüche an sich und seine Umgebung stellt, kommt er mit den Leuten klar. Eines Nachts  gerät er trotzdem in die Bredouille, davon erzählt Kenneth Lonergans „Lobby Hero“. Im Plauderton greift der US-Amerikaner, vor allem bekannt als Drehbuchautor und Regisseur, so heftige Themen wie Rassismus, Korruption und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen auf und verbindet auf diese Weise das Dunkle mit einer hellen Oberfläche, das Drama mit der Komödie.

Am English Theatre hat Clifford Dean „Lobby Hero“ mit einem vierköpfigen und – man kann es gar nicht oft genug betonen – wieder einmal erstklassigen Ensemble inszeniert.

Das verdient umso mehr Respekt, als das Stück realistisch wie ein Spielfilm daherkommt und sich vornehmlich über die Dialoge, aber kaum über die Handlung definiert. Gefragt sind also feine Gesten und Bewegungen, die alle vier Schauspieler:innen so beherrschen, als würde eine Kamera jedes Detail aufzeichnen. Mit dem austarierten Rhythmus zwischen Stille und Eskalation, dem Übereinander-Sprechen und dem sich Gegenseitig- ins-Wort-Fallen entwickelt sich ein fesselnder, tiefgründiger und dennoch komischer Abend. 

William weiß, dass die Justiz besonders bei Afro-Amerikanern nicht zimperlich ist.

In einer typischen Lobby mit neutralem Tresen, schwarzen Ledersesseln und Deko-Palme (Bühne: Matthias Wardeck) vertreibt sich Jeff (Ned Rudkins-Stow) die Langeweile bei seinem Nachtdienst, indem er einen Luftballon hin- und herschnippt. Dass er damit nicht seine Aufgabe erfüllt, macht ihm sehr schnell und sehr deutlich sein Vorgesetzter William (Daniel Gregory), ein Afro-Amerikaner, klar. Williams Position ermöglicht ihm, Jeff zu feuern. Doch er hat andere Sorgen. Er selbst befindet sich gerade in einer misslichen Lage, denn sein Bruder ist zusammen mit anderen Jungs angeklagt, Drogen aus einem Krankenhaus gestohlen und dabei eine unvermutet auftauchende Krankenschwester so verletzt zu haben, dass sie später daran gestorben ist. William weiß, dass die Justiz besonders bei Afro-Amerikanern nicht zimperlich ist, und da er nicht sicher ist, ob sein Bruder tatsächlich etwas mit der ganzen Sache zu tun hat, will er ihm ein falsches Alibi geben. Daniel Gregory spielt einen Vorgesetzten, dessen lässige Coolness einer Schwere Platz macht, je mehr ihm die Situation seines Bruders und die Folgen seines falschen Alibis klar werden. Ned Rudkins-Stow ist als Jeff eine sympathische Nervensäge, der selbst ständig vergeblich versucht, sich im Zaum zu halten. Zum Beispiel auch, als die beiden Polizisten Bill (Peter Dewhurst) und Dawn (Chloe Ballantine) auftauchen. Dewhurst spielt Bill als schmierig-arroganten  Ausbilder der Polizeischülerin Dawn. Wie selbstverständlich besucht er im Dienst eine Prostituierte, wie selbstverständlich hat er als verheirateter Mann ein Verhältnis mit Dawn. Jeff bringt das alles brühwarm zur Sprache, als Dawn in der Lobby auf Bill wartet. Chloe Ballantines Dawn verbirgt hinter ihrem schnippischen Gehabe ihre schwierige Lage als betrogene junge Frau, die eine Affäre mit einem Vorgesetzten hat, der aber seine Dienstzeit bei Prostituierten verbringt. Das Dilemma zwischen dem, was Anstand und Moral fordern, und dem, was gerade zwischenmenschlich passiert, erfährt sie genauso wie William und Jeff. 

Es ist spannend zuzuschauen, wie sich diese Situation entwickelt und letztlich löst. Ein unbedingt sehenswerter Abend.      

Weitere Informationen unter: https://englishtheatre-shop.comfortticket.de/en/tickets/lobby-hero

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Dilemma bei der Verwirklichung moralischer Ansprüche
  • Problem gegenseitiger Abhängigkeiten
  • Rassismus in der Justiz
Formale SchwerpunKte
  • Realistische Spielweise, vergleichbar mit Film
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 16 Jahre, ab Klasse 11
  • empfohlen für den Englisch- und evtl. Theaterunterricht
Zum Inhalt

Jeff arbeitet als Wachmann in einem Apartment-Haus in Manhattan. Seinen Dienst versieht er nicht sonderlich ambitioniert, kommt aber sehr gerne mit Menschen ins Gespräch. Zum Beispiel mit seinem Vorgesetzten William, einem Afro-Amerikaner. Jeff erkennt schnell, dass William ein Problem mit seinem Bruder hat. Der ist angeklagt, zusammen mit ein paar anderen Jungs Drogen aus einem Krankenhaus gestohlen und dabei eine plötzlich auftauchende Krankenschwester zusammengeschlagen zu haben. Die Mutter von drei Kindern ist wenig später ihren Verletzungen erlegen. Da Afro-Amerikaner in der US-Justiz wenig Chancen haben, will William, der sich über die Beteiligung seines Bruders nicht sicher ist, ihm ein falsches Alibi geben. Jeff geht William mit seinen Fragen so lange auf die Nerven, bis dieser ihm sein Vorhaben erzählt. Zwei Polizisten, Bill und Dawn, besuchen in dieser Angelegenheit Jeffs Lobby. Während Bill sich in das obere Stockwerk zu einer Prostituierten begibt, sitzt die Polizeischülerin Dawn unten bei Jeff. Sie muss dessen Flirt-Attacken ertragen und sich außerdem von ihm anhören, was Bill während seiner Dienstzeit treibt. Das trifft sie nicht nur, weil sie gerade erst mit der Ausbildung angefangen hat und alle Regeln richtig befolgen will, es trifft sie auch, weil sie mit dem verheirateten Bill, ihrem Ausbilder, ein Verhältnis hat, der also ihre Abhängigkeit ausnutzt. Jeff, der trotz gegenteiliger Zusagen seinen Mund nicht halten kann, deckt sowohl Bills als auch Williams Fehlverhalten auf und findet damit endlich die ersehnte Zuneigung von Dawn.

   

Mögliche VorbereitungeN

Unter https://eth-hamburg.de/wp-content/uploads/2024/01/Study-Guide_Lobby-Hero.pdf bietet das English Theatre als Vorbereitung folgendes Material an:

  • Informationen zum Autor Kenneth Lonergan
  • eine ausführliche, jede Szene beschreibende Inhaltsangabe inklusive Dialog-Ausschnitten, die eventuell als Spielvorlage für den eigenen Unterricht genutzt werden können
  • Fragen zum Inhalt (mit Lösungen am Schluss)
  • zusätzliche Themen für schriftliche Aufgaben und/oder Unterrichtsgespräche

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