Maria Schraders oscarnominierter Film war ein großer Erfolg. Warum sich also noch die Bühnenfassung von „Ich bin dein Mensch“ anschauen? Ganz einfach, weil sie eigenständig, zupackend und intelligente Unterhaltung ist. Zu Esther Hattenbachs gelungener Uraufführung in den Hamburger Kammerspielen.
Die Kritik
Wie war das nochmal mit Goethes Zauberlehrling? „Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht mehr los!“, klagt er. Alles ist ihm aus der Hand geglitten, seine Befehle werden ignoriert, der von ihm gerufene Besen, der ihm Arbeit abnehmen sollte, hat eine Eigenständigkeit entwickelt und dem menschlichen freien Willen den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt. Und was ist mit der KI? Läuft doch ganz ähnlich ab. Einmal entwickelt, beginnt sie sich unseres Lebens mehr und mehr zu bemächtigen, im positiven wie im negativen Sinne. „Wir müssen schneller klüger werden als diese Tools gefährlich“, wird der Wissenschaftler Yoshua Bengi in dem wieder einmal informativen und sorgfältig recherchierten Programmheft (Redaktion: Anja Del Caro) der Hamburger Kammerspiele zitiert. Hier hat Esther Hattenbach „Ich bin dein Mensch“ eine eigene Fassung nach dem gleichnamigen Drehbuch von Maria Schrader und Jan Schomburg zur Uraufführung gebracht. Ganz dünnes Eis, mag sich vorab so mancher gedacht haben, denn der Film schien unschlagbar. Und den einfach nachzuerzählen, noch dazu in dem sehr viel behäbigeren Medium Theater, könnte doch nur schiefgehen. Muss aber nicht, wenn es einen eigenen Zugriff gibt, wie ihn Esther Hattenbach entwickelt hat.
Tom ist mit einem Algorithmus auf Almas Wünsche abgestimmt, also als eine Art Traumpartner programmiert.
Sie verlegt die Handlung komplett in die durchgestylte Wohnung (Bühne: Geelke Gaycken) der Wissenschaftlerin Alma (Lilli Fichtner). Die ständige Präsenz des Digitalen wird durch einen an manchen Stellen eingespielten elektronischen Sound (Johannes Bartmes) ironisiert. Kaum dass jemand das Wort „Kaffee“ ausspricht, tritt die Kaffeemaschine in Aktion, Musik erklingt oder erstirbt auf Befehl (aber das kennen wir ja schon von Alexa und Siri). Statt sich lange mit der Einführung von Personen und Situationen aufzuhalten, kommt die Inszenierung gleich zur Sache: Alma arbeitet am Laptop, als es an der Tür klingelt und Tom (Tobias van Dieken) von einer Mitarbeiterin (in mehreren Rollen: Valerija Laubach) gebracht wird. Tom ist ein humanoider Roboter, das heißt, er sieht aus wie ein Mensch und spricht und bewegt sich auch so. Er ist mit einem Algorithmus auf Almas Wünsche abgestimmt, also als eine Art Traumpartner programmiert. Alma soll ihn drei Wochen lang testen, um dann ein Gutachten darüber zu erstellen, ob diese Art von Robotern helfen, die Einsamkeit der Menschen zu lindern, ja sie vielleicht sogar glücklich zu machen.
Bewahrt ein humanoider Roboter nicht Menschen vor der Einsamkeit?
Dass der smarte Tom eine Maschine ist, wird sehr schnell klar. Bei einem von der Mitarbeiterin angeregten Tanz mit Alma hängt sich sein Programm mit einem ständig wiederholten „Ich bin…“ auf. Tobias van Diekens Tom verharrt minutenlang im Freeze, das Menschliche ist von ihm abgefallen. Noch wirkt er unbeholfen, redet in Stanzen („Deine Augen sind wie Bergseen“). Aber schon bald ist er richtig konfiguriert und kaum mehr von einem echten Menschen zu unterscheiden. Das geht nicht nur Almas Ex-Freund Julian so (Ingo Meß spielt ihn als verplanten Wissenschaftler, der so gar nichts im Griff hat), auch Alma selbst hat zunehmend Schwierigkeiten, sich ihm zu entziehen. Lilli Fichtner zeigt zunächst Almas Skepsis dem Experiment gegenüber. Sie testet Tom, beweist oft genug, dass sie als Mensch der Maschine überlegen ist. Die Verzweiflung, in die Alma stürzt, als sich ihre dreijährige Forschung als umsonst erweist, spielt sie frei von Pathos und so berührend, dass Roboter-Tom sich um sie kümmert und beide sogar Sex haben. Zart und wie ein Tanz choreografiert gerät dabei das Ausziehen der Kleidung, ein stiller Moment, in dem selbst der Zuschauer eine Beziehung zwischen Alma und Tom herbeisehnt. Ist denn ein humanoider Roboter wirklich so schlimm? Bewahrt er nicht Menschen vor der Einsamkeit? Hattenbachs Inszenierung stellt diese Fragen und findet mit ihrem vom Film abweichenden Schluss eine Antwort. Aber die wirft eine neue Frage auf. Ein sehenswerter Abend.
Weitere Informationen unter: https://hamburger-kammerspiele.de/programm/ich-bin-dein-mensch/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Nutzen und Gefahren von künstlicher Intelligenz/humanoider Roboter:
- Die Frage nach dem freien Willen des Menschen
- Die Frage nach der Bedeutung von Glück
Formale SchwerpunKte
Realismus in Bühnenbild und Spielweise
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
empfohlen für den Philosophie- und Ethikunterricht
Zum Inhalt
Alma ist Wissenschaftlerin und Single. Seit drei Jahren arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit und hat sich für ein Experiment mit einem humanoiden Roboter zur Verfügung gestellt. Aufgrund ihrer Daten ist Tom programmiert worden, mit dem sie drei Wochen lang zusammenleben soll. Abschließend soll sie ein Gutachten darüber schreiben, ob humanoide Roboter eine Verbesserung bedeuten, indem sie Menschen aus der Einsamkeit helfen und sie vielleicht sogar als ihre Partner glücklich machen. nachdem Tom zunächst ein paar Stereotypen von sich gibt und sich ein Programm einmal aufhängt, entwickelt er sich aber nach einer erneuten Konfiguration zu einer schnell lernenden Maschine, die irgendwann kaum noch von einem Menschen zu unterscheiden ist. Alma gibt ihre anfängliche Distanz auf, sie verliebt sich ungewollt in Tom, aber erkennt dann doch, dass er nur eine Maschine ohne wirkliche Gefühle ist. Sie schickt ihn zurück in die Fabrik, wo er gelöscht werden soll. Alma ist todunglücklich, weil das Leben mit Tom so schön war. Als Tom plötzlich wieder auftaucht, scheint alles gut zu werden.
Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
Recherche zur künstlichen Intelligenz (Wo wird sie bereits eingesetzt? Welche Möglichkeiten gibt es?)
Im Unterrichtsgespräch
Diskussion zu Vor- und Nachteilen der KI
Diskussion zur Rolle des Menschen (Forschungsdrang, freier Wille)