Dornröschen

Die Welt ist kompliziert, schwarzweißes Denken ist eher ein Hindernis. Kann man denn wirklich von einer „bösen“ Fee sprechen? Zu Sascha Jakob Minks so unterhaltsamer wie nachdankenswerter Inszenierung im Allee Theater für Kinder

Der Königin (Jana Lou, li) wird von der Fee Dämonia (Maren Meyer, Mitte) auf Betreiben des Froschs (Eva Langer, re) ein Wunsch erfüllt. –
Foto: Patrick Sobottka

Die Kritik

Einfach so ein Märchen der Gebrüder Grimm herunterspielen? Könnte daneben gehen. Die Kinder heute sind schnelle Wechsel und  Show-Effekte gewöhnt, die Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich niedriger als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Aber die alten Geschichten sind es dennoch wert, erzählt zu werden. Vor allem dann, wenn man sie danach befragt, was sie uns heute noch zu sagen haben. Im Allee Theater für Kinder hat sich Regisseur Sascha Jakob Mink mit „Dornröschen“ beschäftigt. Mit dem Untertitel „oder Die Wahrheit ist ein Dorn im Auge“ macht er klar, worauf es ihm in seiner Inszenierung ankommt: auf ein differenziertes Denken, das nicht nur stramm in eine Richtung blickt, sondern auch die andere Seite berücksichtigt. Seine„böse“ Fee Dämonia hatte der Königin geholfen, ein Kind zu bekommen, was diese vor ihrem Mann aber verheimlicht und deshalb Dämonia nicht zur Taufe der Tochter eingeladen hat. Als diese ungebeten aufkreuzt, greift der König sie an und Dämonia spricht einen Fluch aus, den sie später, als sie das 15jährige Dornröschen kennen und schätzen lernt, vergeblich zu verändern versucht. 

„Moin, Moin! Hummel, Hummel! Seid ihr gut drauf?“

Mink weiß, was er seinem jungen Publikum ästhetisch bieten soll. Am besten etwas Knalliges, Überraschendes. Deshalb bettet er die Geschichte um Dornröschen in eine Show ein, bei der die berühmte Autorin Imelda D. (Maren Meyer) aus ihrem neuesten, alle „Harry Potter“-Romane in den Schatten stellenden Werk „Dornröschen oder Die Wahrheit ist ein Dorn im Auge“ lesen soll. Zu einer Fanfare vom E-Piano (Makiko Eguchi teilt sich die Begleitung und musikalische Leitung im Wechsel mit Myounghyun Kim) springt aus dem Publikum ein super aufgelegter Moderator (Florian Sellke) auf die Bühne, schmettert:„Hallo! Moin, Moin! Hummel, Hummel! Seid ihr gut drauf?“ und bittet dann Imelda D. zur Lesung ihres neuesten Werkes auf die Bühne. 

Während ihres Vortrags hebt sich der Gaze-Vorhang, die von ihr geschriebene Geschichte wird lebendig. Die Figuren sprechen in gebundener Sprache und singen zur Musik von Engelbert Humperdinck und Richard Wagner. Darin heben sie sich ab von der Ebene der Show, die die Gegenwartssprache verwendet. Spannend wird es, wenn sich beide Ebenen vermischen. Denn nicht nur Imelda D. steigt als die „böse“ Fee Dämonia in die Handlung ein, sondern auch Miro (Kevin Slavicek), einer ihrer Leser. Der hatte nämlich von dem verzauberten Dornröschen (Kristin Heil zeigt sie als wunderbar mauligen Teenager namens Rosabella), geträumt. Jetzt ist er bereit, sie zu erlösen, reist dafür nicht nur durch die ganze Welt und trifft auf einen Eisbär, einen bayrisch sprechenden Zwerg (beides: Jonas Stüdemann), auf Quecksilber (Eva Langer) und eine Mumie (Kristin Heil). Nein, er fliegt auch noch durchs Weltall, bis er endlich zu dem Turm mit dem schlafenden Dornröschen gelangt.

Bühne und Kostüme sind ein wahres Wunderwerk.

Ausstatterin Katia Diegmann hat für die kleine Bühne des Theaters ein wahres Wunderwerk geschaffen: Auf der rechten Seite steht vor einem Paravent ein Sessel mit Tischchen für die Autorin. Dreht sich der Paravant, wird er zu Dornröschens Turm. Hinter dem Gaze-Vorhang auf der Bühne stehen symmetrisch angeordnet pyramidenförmige Kegel, die je nach Licht (Ruslan Vavilov, Andreas Ludewig) wie ein Wald oder die Säulen eines Palastes aussehen. König (Florian Sellke), Königin (Jana Lou), Zeremonienmeister (lakonisch die knappen Kassen betonend: Jonas Stüdemann) und die geladenen drei Feen (Kristin Heil, Eva Langner, Sabine Krack) tragen prächtige, fantasievolle Kostüme ebenso die Wesen, die Miro auf seiner Reise trifft.  Per Video (Manuel Schulte) werden Städte, Kontinente und schließlich eine wachsende Rosenhecke auf den Gaze-Vorhang projiziert. Das ist wunderschön anzusehen, macht aber die Vorstellung mit mehr als 90 Minuten (inkl. Pause) länger, als ihr guttut. Kinder ab sechs Jahre können sich bis zum Ende konzentrieren, für jüngere wird es schwieriger.

Weitere Informationen unter: https://alleetheater.de/events/dornroeschen/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • die Abkehr vom Schwarzweiß-Denken
  • das Hinterfragen vorgefertigter Meinungen, Urteile und Rituale 
  • die Kraft der bedingungslosen Liebe
Formale Schwerpunkte
  • Parallele Darstellung zweier Erzählebenen
  • Einsatz von Freeze und Posen
  • Einsatz von synchronen Bewegungen  
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

ab 6 Jahre, ab Klasse 1

Zum Inhalt

Die erfolgreiche Autorin Imelda D. hat in ihrem neuesten Werk die Geschichte von Dornröschen neu gedeutet: Die bislang unglücklich kinderlose Königin begegnet einem Frosch, der sich aber als nützlich erweist, da er sie mit der Fee Dämonia bekannt macht. Die bietet der Königin an, ihr ihren sehnlichste Wunsch nach einem Kind zu erfüllen, dafür aber dessen Patin werden zu dürfen. Die Königin willigt ein, sagt aber ihrem Mann nichts von dem Pakt und lädt deshalb auch Dämonia nicht zur Taufe des Neugeborenen ein. Als diese dennoch erscheint, greift der König sie an, worauf Dämonia einen Fluch über das Kind ausspricht. Demnach soll es an seinem 15. Geburtstag sterben. Die anderen drei Feen können den Fluch immerhin dahingehend abmildern, dass das Mädchen, dem sie den Namen Rosabella gegeben haben, nur 300 Jahre schlafen soll. Am 15. Geburtstag  lernt Dämonia  Rosabella kennen und ist ganz begeistert von dem selbstständigen und freiheitsliebenden Mädchen, das „Mann, ich will Veränderung!“ ruft und nicht die vorgefertigte Rolle im Königshaus annehmen will. Leider kann sie aber den Fluch nicht mehr löschen, so dass Rosabella tatsächlich in einen Schlaf fällt. 

Während Imelda D. aus ihrem Buch liest, kommt ein junger Mann namens Miro auf sie zu und gesteht, dass er genau so eine Geschichte geträumt hat. Mit Hilfe Imeldas tritt er in Imeldas Geschichte ein und versucht, Rosabella zu erlösen. Dafür braucht er ein Amulett, nach dem er in der ganzen Welt, inklusive Weltall sucht, und es schließlich unter der Erde findet. Kurz bevor Rosellas Schlaf nach dreihundert Jahren in den Tod führt, erreicht Miro den Turm und erlöst sie.

Mögliche VorbereitungeN

Die Theaterpädagogik des Allee Theaters für Kinder bietet Begleitmaterial an unter: theaterpaedagogik@alleetheater.de