Eine Familie mit drei Kindern. Die Eltern erfolgreich im Beruf und tolerant in Erziehungsfragen. Und trotzdem stimmt plötzlich gar nichts mehr. Zum 20jährigen Jubiläum des Jungen Schauspielhauses greift „Anybody Home“ von Stanislava Jević und Klaus Schumacher wichtige, aber zu viele Themen auf einmal auf.

Die Kritik
Sieben Jahre später ist alles gut. 2032 feiern die Zwillinge Seraphin (Anastasia Lara Heller) und Alma (Victoria Kraft) ihren 25. Geburtstag, und die gesamte Familie ist gekommen: der jüngere Bruder Mateo (Silvio Kretschmer), Mutter Judith (Christine Ochsenhofer), Vater Jakob (Hermann Book) und Almas Partner (Parsa Yaghoubi Pour). Eine leuchtende 25 aus Zahlenluftballons prangt vor der Front des Hauses. Nur die ist grau und verrußt, die Fenster sind notdürftig mit Folie verhängt, und das Dach existiert nur noch in Teilen. Wenn sich die Bühne im Großen Saal des Jungen Schauspielhauses dreht, sind das Wohnzimmer unten, die Treppe oder Seraphins Zimmer im oberen Stockwerk zu sehen (Bühne und Kostüme: Katrin Plötzky). Das halb abgebrannte Haus ist als Sinnbild für die dysfunktionale Familie gedacht, um die es in „Anybody Home“ geht. Das Stück haben Stanislava Jević und Klaus Schumacher zum 20. Jubiläum des Jungen Schauspielhauses geschrieben, Schumacher hat die Uraufführung inszeniert.
Wer hat 2025 Feuer gelegt und warum? Das ist die große Frage, die zu Beginn des Stücks beim Geburtstag der Zwillinge gestellt wird. Um das zu klären, springt die Handlung sieben Jahre zurück. Vorgestellt wird eine Familie, wie es sie in ähnlicher Form öfter gibt: Die Mutter ist beruflich erfolgreich und nur sporadisch zu Hause, der Vater hat als Pfarrer die örtliche Kirche aufgegeben und predigt statt dessen im Internet mit 400.000 Followern. Grund für diesen Weg war die Pandemie. Die ist auch Schuld daran, dass sich Seraphin in ihr Zimmer zurückgezogen und sich mit KI eine virtuelle Freundin geschaffen hat, der sie mehr anvertraut als Eltern und Geschwistern. Was die Kinder tatsächlich machen, was sie umtreibt, wissen die Eltern nicht. Sie kontrollieren nicht, wie viel Zeit sie mit ihren Handys und im Internet verbringen und was sie sich anschauen. Sie erkennen nicht, wie einsam, unglücklich und gefährdet ihre Kinder sind. Statt dessen machen sie sich vor, dass alles okay ist. Eine Kommunikation innerhalb der Familie fehlt.
Der Aufstieg der Rechten droht, und dann ist da auch noch die Hitze wegen des Klimawandels.
Ein spannendes und hochaktuelles Problem ist das. Mit einem überzeugenden Ensemble gelingt es Schumachers Inszenierung hier genauer hinzugucken, Schwachpunkte und Fehlentscheidungen in der Familie zu beleuchten. Jan S. Beyers Live-Musik erzeugt zusätzlich Dynamik oder unterstreicht die stillen, manchmal ratlosen Momente der einzelnen Figuren. Schade nur, dass das so wichtige Kernproblem überfrachtet wird, indem andere, nicht minder komplexe Themen angeschnitten werden: Die Mutter ist Kriegsfotografin, tut damit also Wichtigeres für die Gesellschaft als Kinderhüten. Almas Kinderfreund und späterer Partner (zu schade, dass im Programmheft die Namen der Figuren nicht aufgeführt sind) stammt aus dem Iran, er erfährt Fremdenhass, seinen Eltern droht Abschiebung. Mateos Verstörung beruht auf brutalen Videos, die ihm auf dem Schulhof gezeigt werden. Der Aufstieg der Rechten droht, und dann ist da auch noch die Hitze wegen des Klimawandels. Damit haben Jević und Schumacher zu viel des Guten gewollt und damit ihr eigentliches Thema zerfranst. Aber vielleicht sehen junge Menschen ab 14 Jahre (so die Altersvorgabe) das ja ganz anders. Man darf gespannt sein.
Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/anybody-home
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Fehlende Kommunikation in der Familie
- Vermeintliche Toleranz der Eltern
- Gefahr durch Internet- und Handymissbrauch
- Flucht aus der Realität
- Vereinsamung und Selbsthass
Formale SchwerpunKte
Live-Musik
- zur Steigerung der Dynamik
- zur Intensivierung spezieller Momente
- zur Begleitung einzelner Szenen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 14/15 Jahre, ab Klasse 9/10
- Empfohlen für den Ethik-, Deutsch-, PGW- Unterricht
Zum Inhalt
In der Familie mit den Zwillingen Seraphin und Alma und dem jüngeren Sohn Mateo läuft etwas schief. Seraphin hat sich seit der Pandemie in ihrem Zimmer verschanzt und sich mit KI eine Freundin geschaffen, die ihr wenigstens zuhört. Sie fühlt sich vereinsamt und allein gelassen genauso wie Mateo. Der hat sein Handy zerstört, weil ihm auf dem Schulhof brutale Videos gezeigt wurden. Von den Problemen der Kinder wissen die Eltern nichts. Beide sind zu sehr mit ihren Berufen ausgefüllt, als dass sie sich noch mit ihnen auseinandersetzen wollen. Durch die Sprachlosigkeit und die nach außen demonstrierte Intaktheit verlieren sich aber die einzelnen Familienmitglieder, bis es schließlich zur Katastrophe kommt.
Mögliche Vorbereitungen
Die Lehrkraft kann eine Diskussion vorbereiten lassen, indem sie die Klasse in zwei Gruppen teilt. Die beiden Gruppen können sich jeweils aufteilen und in Kleingruppen gemeinsam Argumente sammeln und austauschen.
A: Eltern sollten die Handy- und Internetnutzung kontrollieren und auf eine bestimmte Zeit begrenzen.
B: Eltern sollten die Handy- und Internetnutzung nicht kontrollieren und auf eine bestimmte Zeit begrenzen.
Anschließend: Diskussion, geleitet von einer Schülerin/einem Schüler.
Im Unterrichtsgespräch:
- Wie habt ihr die Pandemie erlebt?
- Welche Beobachtungen habt ihr in eurem Umfeld gemacht?
- Welche Bedeutung haben Handys für euch?
- Wie viel Zeit verbringt ihr pro Tag am Handy/mit sozialen Medien/ im Internet allgemein?
- Wozu nutzt ihr das Tandy/die sozialen Medien/ das Internet im allgemeinen?
- Sind die so häufig angesprochenen Gefahren durch diese Medien eurer Meinung nach übertrieben?