Zur Person: Hannah Arendt

Was für eine Performance! Im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses ist mit einer fantastischen Julia Wieninger das Re-Enactment von „Zur Person: Hannah Arendt“ zu sehen. Das Interview des Journalisten Günter Gaus sorgte 1964 für Furore in Deutschland. Es jetzt nachzuspielen und Hannah Arendt für einen Abend wieder zum Leben zu erwecken, ist in dieser Zeit wichtiger den je. 

Julia Wieninger als Hannah Arendt – Foto. Maris Eufinger

Die Kritik

BRD 1964. Das Ende der Nazi-Zeit liegt gerade mal 19 Jahre zurück. Da schlägt ein Buch hohe Wellen und führt zu heftigen Kontroversen: „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, verfasst von Hannah Arendt, einer bekannten politischen Theoretikerin und Publizistin. Arendt stammt aus einer jüdischen Familien, verließ 1933 Deutschland und emigrierte in die USA. Jetzt gibt sie dem Journalisten Günter Gaus in dessen Reihe „Zur Person:…“ ein einstündiges Interview, „das beste Gespräch, das ich jemals geführt habe“ , wird Gaus später darüber sagen.

Die Bühne im Malersaal (Julia Oschatz) ist mit schwarzen Stellwänden umrahmt, zwei 60er-Jahre-Sessel,stehen einander gegenüber, daneben zwei Tischchen mit Wasserglas und Zigaretten (damals rauchte man noch bei Fernseh-Interviews). Zur Musik und Einspielung des Titels treten Julia Wieninger und Michael Weber auf. Wieniger mit grauer Perücke, Brille und dunklem Kostüm, Weber als Günter Gaus mit Anzug, weißem Haar und Brille (Kostüme: Jana Sophia Schweers). Wieninger, die zusammen mit dem Dramaturgen Martin Györffy das Konzept für diesen Abend erarbeitet hat, schlüpft vollständig in die Rolle der Hannah Arendt, ist für dieses Interview Hannah Arendt. Sie übernimmt deren präzise Artikulation, die Handbewegungen, die kurzen „Ähs“, wenn sie, was selten genug vorkommt, nach Worten sucht, oder das „nicht?“ am Ende mancher Sätze, lässt aber auch Arendts Humor und ihre Schnodderigkeit bei manchen Antworten aufblitzen. 

Mit Julia Wieninger steht an diesem Abend eine messerscharfe und dennoch warmherzige Intellektuelle wieder auf.

Als Zuschauer:in hat man das Gefühl, sich in einem Zeitstrahl ins Jahr 1964 gebeamt zu haben und dem tatsächlichen Interview beizuwohnen. Gaus hatte sich seinerzeit exakt vorbereitet, sich aber selbst als Interviewer zurückgenommen. Folgerichtig sitzt Webers mit dem Rücken zum Publikum, spricht leise und unaufdringlich – s-tolpert dabei wie Gaus übern s-pitzen S-tein – und gibt mit klugen Fragen und Impulsen seinem Gast Raum. Wieniger/Arendt sitzt zentral im hellen Scheinwerferlicht und berichtet über ihre antifaschistischen Untergrundtätigkeiten und ihre Jugend in Deutschland. Über ihr Verhältnis zum eigenen Jüdisch-Sein und darüber, dass ihre Mutter gepredigt habe, sich zu wehren und nicht zu ducken. Mit Stolz, aber auch mit sehr viel Charme erzählt sie davon. Nein, die Machtergreifung 1933 habe sie nicht schockiert, die Nazis hätten die ja schon Jahre vorher vorbereitet und jeder hätte wissen können, was da passiert. Den eigentlichen Schock habe sie erst 1943 bekommen, damals bereits im US-amerikanischen Exil. Da habe sie von der „Fabrikation der Leichen“  in Auschwitz erfahren. Der Schock wurde zum Impuls ihrer politische Theorie des Begreifens, die besagt „sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit, was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein großartiger Abend, der mit Julia Wieninger eine messerscharfe und dennoch warmherzige Intellektuelle wieder auferstehen lässt.

Weitere Informationen unter:https://schauspielhaus.de/stuecke/zur-person-hannah-arendt

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Situation als Jugendliche in Deutschland bis 1933
  • Umgang mit dem Jüdisch-Sein
  • Die politische Theorie des Begreifens
Formale SchwerpunKte
  • Exaktes Nachstellen eines historischen Interviews
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

Das Interview bewegt sich auf einem hohen intellektuellen Niveau und sollte mit Klassen oder Kursen gut vorbereitet sein.

  • Ab 17/18 Jahre, ab Klasse 12
  • Empfohlen für den Geschichts- und Philosophieunterricht 
Zum Inhalt

Im Interview spricht Hannah Arendt über ihre antifaschistischen Untergrundaktivitäten, ihre Jugend in Deutschland, ihr Verhältnis zum eigenen Jüdisch-Sein, die Gleichschaltung der Intellektuellen durch die Nazis, ihren Schock, als sie von Auschwitz erfuhr, die daraus erwachsenen Konsequenzen und ihre Reaktion auf die Kontroversen zu ihrem gerade erschienenen Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu: 

  • Hannah Arendt (Biografie)
  • „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ (Inhalt, Rezensionen  und Reaktionen)

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