Wolf

Wann ist jemand eigentlich ein Außenseiter? Und was definiert die Anderen, die sich als Gruppe empfinden? Klingt sehr pädagogisch? Nicht in Saša Stanišičs Roman „Wolf“. Darin erzählt er eine unterhaltsame, nachdenkliche Geschichte. Camilla Ferraz hat sie im Thalia in der Gaussstraße konzentriert inszeniert.

Kemi (li:Johannes Hegemann) muss ausgerechnet mit dem Jörg (Steffen Siegmund) eine Hütte teilen – Foto: Fabian Hammerl

Die Kritik

Wo ist die penetrante Mücke? Das Summen nervt, man möchte um sich schlagen. „Was möchtest du gerne aussterben lassen?“ Die Frage des jungen Lockenkopfes, der gerade durch die Reihen des Publikums turnt. Bei ihm ständen an erster Stelle Mücken (genau!), an zweiter Waffen und bald danach Sätze die mit „Übrigens“ anfangen, weil die nämlich immer schlecht für ihn ausgingen. Und schon taucht auch auf der anderen Seite des Zuschauerraums seine Mutter auf und schlägt ihm vor, den Sommer in einem Ferienlager im Wald zu verbringen (Ihr Satz beginnt tatsächlich mit „Übrigens“). Die Alternative lautet Ferienbetreuung in der Schule.  Klar, dass Kemi, der seinen Namen erst am Ende der 90minütigen Vorstellung verraten wird, trotz seines Widerwillens gegen Wald und Mücken den ersten Vorschlag wählt.

Die Inszenierung von „Wolf“ im Rahmen der Jungen Regie im Thalia in der Gaussstraße hatte zwar schon im September 2023 Premiere, sollte aber dringend noch einmal besprochen werden. Weil sie weiterhin auf dem Spielplan steht, weil sie ein junges Publikum anspricht und weil Regisseurin Camilla Ferraz eine sehenswerte Umsetzung des Romans von Saša Stanišič gelungen ist.

Kemi spricht direkt zum Publikum und macht es mit seiner ironischen, fast schon erwachsenen Darstellung zum Komplizen.

Das Thema betrifft viele und vor allem junge Menschen. Es geht um das Anderssein und die Ausgrenzung derjenigen, die nicht ins gängige Schema passen. Eine einfache Mobbing-Geschichte ist es dennoch nicht. Vielmehr wird die Andersartigkeit und die Reaktion der Gruppe betrachtet und das eigene Verhalten ihr gegenüber reflektiert. Stanišič selbst hat derartiges Verhalten in der Schule wie jede:r andere erlebt, aber erst 30 Jahre später darüber einen Roman geschrieben  Der titelgebende Wolf erscheint dem Erzähler Kemi im Traum und kann als Metapher für dessen eigenes Verhalten bzw für seine Beziehung zu dem Außenseiter Jörg gelesen werden. Die Inszenierung  bleibt dicht am Original. Nadin Schumacher hat die Bühne als eine multifunktionale schiefe Ebene mit fensterartigen Aussparungen gestaltet, aus denen die Figuren auf- und abtreten oder verschiedene Requisiten hervorholen können. Die Musik ((CLARKS PLANET) zeichnet unterschiedliche Stimmungen, vor allem dann, wenn dem blondgelockten Erzähler Kemi im Traum der Wolf erscheint. Kemi  (Johannes Hegemann) spricht direkt zum Publikum, macht es mit seiner ironischen, fast schon erwachsenen Darstellung zum Komplizen. Die Mutter, die Leiterin des Feriencamps und die von ihm angehimmelte Mitschülerin (in allen Rollen die Künstlerin und Musikerin Clara Brauer) sieht man genauso durch seine Brille wie den Außenseiter Jörg (Steffen Siegmund), mit dem Kemi die Hütte im Ferienlager teilen muss. 

Hegemanns Kemi in Ringelshirt, kurzen Jeans und Chucks (Kostüme: Katharina Arktis) scheint die Welt grundsätzlich durchschaut zu haben. So tut er jedenfalls mit seinen coolen, distanzierten Bemerkungen. Aber manchmal muss er die irgendwie zu lang erscheinenden Arme doch komisch verknoten, und die Schritte in Richtung der angeschwärmten Mitschülerin fallen auch eher holprig aus. Begeistert ist er vom Zusammensein mit Jörg nicht, aber er respektiert ihn, auch wenn oder vielleicht gerade weil er „andersig“ ist. Siegmunds Jörg ist eine rührende Figur: Ein schwitzender, körperlich plumper Nerd, dessen Zartheit ihm als Schwäche ausgelegt wird. Devot fügt er sich in die Opferrolle, vertuscht sogar die Gewalt, die ihm von brutalen Mitschülern angetan wird, ist tapfer und bleibt ganz bei sich. Dass Kemi ihm nicht hilft, ist für ihn okay. Aber für Kemi selbst? Er denkt darüber nach. Noch läuft dieser sehenswerte Abend, also nichts wie hin. 

Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/wolf-2023

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Was macht jemanden zum Außenseiter?
  • Umgang mit Außenseitern: Zuschauen statt Handeln?
  • Reflektieren des eigenen Handelns
Formale SchwerpunKte
  • Erzählung als direkte Ansprache an das Publikum
  • Einflechten kurzer Spielszenen in Erzähltest
  • Erschaffen von Räumen/Orten durch Sound
  • Multifunktionales, undefiniertes Bühnenbild
  • Rollenwechsel durch Kostüme
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

ab 12/13 Jahre, ab Klasse 7/8

empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht und für Klassenlehrerstunden

Zum Inhalt

Kemis alleinerziehende Mutter hat eine super Idee: In den Ferien könnte er an einem Ferienlager im Wald teilnehmen, immerhin macht auch ein Großteil seiner Klasse mit. Allerdings hasst Kemi Wälder sowie die Natur überhaupt. Aber da die Alternative „Ferienbetreuung in der Schule“ lautet, hat Kemi keine Wahl. Zusammen mit Jörg teilt er sich eine Hütte. Jörg, ein sensibler, etwas nerdiger Junge, der gerne wandert und im Gegensatz zu Kemi viel über die Natur weiß, gilt in der lasse als Außenseiter. Vor allem Marko, der ebenfalls im Ferienlager den Sommer verbringt, macht ihm das Leben schwer. Kemi akzeptiert Jörg in seiner Besonderheit, aber zu seinem eigenen Entsetzen hilft er ihm nicht. Nachts träumt Kemi von einem Wolf, der sich der Hütte nähert. Zunächst wirkt er furchteinflößend mit seinen spitzen Zähnen und seinen gelben Augen. Doch je länger der Aufenthalt im Ferienlager dauert, desto freundlicher wirkt er und endet schließlich als Beschützer der beiden Jungen, der sich – im Traum – vor ihre Betten legt.

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Lektüre (oder Inhaltsangabe) von Saša Stanišičs „Wolf“
  • Biografie von Saša Stanišič
  • Die Rolle desWolfs in der Literatur
Im Unterrichtsgespräch
  • Vergleich zwischen Roman und Biografie: Welche Gemeinsamkeiten gibt es?
  • Außenseiter:innen: Wie werden sie dazu? Wer macht sie dazu? Welche Rolle spielt dabei die Gruppe? Was definiert die Gruppe als Gruppe? Wie kann die Gruppe mit Außenseiter:innen respektvoll umgehen? Was bedeutet Individualität?
Speziell für den Theaterunterricht
Erzeugung von Räumen/Orten durch Stimme, Körper und Gegenstände
Singender Stein 

Die Gruppe stellt sich im Kreis auf. Ein Stein wird mit einem ausgewählten Ton weitergeben an den Nachbarn (einmal durch den gesamten Kreis). Dann mehrere Steine in Umlauf bringen. -> Herausforderung: hohe Konzentration, genau zuhören, Variation: verschieden farbige Steine verwenden, denen ein fester Ton zugewiesen ist. Einzelne SuS könnten sich in die Mitte legen, um Wirkung zu prüfen.

Bodypercussion

Spieler:innen stehen im Kreis, ahmen folgende Bewegungen nach, die später immer schneller hintereinander im Rhythmus gemacht werden: 1x in die Hände klatschen, rechte Hand auf linke Schulter, linke Hand auf rechte Schulter, linke Hand auf linken Oberschenkel, rechte Hand auf rechten Oberschenkel, rechte Hand auf rechte Pobacke, linke Hand auf linke Pobacke. linker Fuß, rechter Fuß

Ausprobieren von Geräuschen durch Alltagsgegenstände (Reißverschlüsse, Stifte, u.ä.) oder Instrumente bzw.  instrumentenähnlichen Gegenstände.

Aufteilung des Kurses in Gruppen 1 – 4. Die Aufgabe wird schriftlich verteilt, damit die übrigen Gruppen bei der Präsentation den Raum erraten können.

Aufgabe:

Erstellt über Geräusche aus Stimme, Körper und Gegenständen einen Raum mit einen Zustand/ einem Gefühl

  • Gruppe 1: Waldspaziergang im Sommer 
  • Gruppe 2: stressige Arbeit in der Fabrik
  • Gruppe 3: Angst abends alleine zuhause
  • Gruppe 4: Rushhour in der Stadt

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