Was das Nashorn sah,

„…als es auf die andere Seite des Zauns schaute“, so der vollständige Titel des Stücks von Jens Raschke. Was das Nashorn sah, war so schockierend, dass es gestorben ist. Aber einfach wegsehen wie alle anderen? Zur Fantasie anregenden, poetischen Inszenierung von Alexander Riemenschneider im Jungen Schauspielhaus.

Was geschieht auf der anderen Seite? – Foto: Sinje Hasheider

Die Kritik

Plötzlich war das Nashorn tot. Lag einfach da und keiner wusste warum. Oder wollte es vielleicht nicht wissen. „Ist doch egal“, befindet später das Mufflon und spricht damit für alle Tiere in diesem Zoo. Der liegt an einem ganz besonderen Ort. Ein „summender, brummender Zaun“ trennt die schönen von den hässlichen Häusern, die Gestiefelten von den Gestreiften, und es hat ihn tatsächlich gegeben. Es ist der Zoo im Konzentrationslager Buchenwald. 1938 eingerichtet durch den damaligen Kommandanten Karl Koch zur Unterhaltung von SS-Familien existierte er bis 1945 und wurde erst Jahre später im Ansatz wieder freigelegt. Heute ist er noch in Teilen begehbar, zur Anschauung sind noch ein paar Schwarzweiß-Fotografien erhalten. Diese mögen dem Stückeschreiber, Dramaturgen und Regisseur Jens Raschke als Impuls gedient haben für sein Stück „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“. 2014 wurde es mit dem deutschen Kindertheaterpreis ausgezeichnet, jetzt hat es Alexander Riemenschneider am Jungen Schauspielhaus inszeniert. Und zwar so, dass sowohl Sechstklässler:innen als auch Oberstufenschüler:innen auf jeweils unterschiedlichen Ebenen davon profitieren können.

Die vier Schauspielenden wechseln nahtlos vom Erzählen ins Spiel.

Die Bühne (David Hohmann) ist mit einem hellgrauen Rundhorizont umspannt. „Stellt euch einen Zoo vor. Einen Zoo vor vielen Jahren. Einen Schwarzweiß-Foto-Zoo“, beginnt der Schauspieler Hermann Book. Schnell baut er zusammen mit Christine Ochsenhofer, Severin Mauchle und Alicja Rosinski vier weiße vierkantige Pfähle zu einem übergroßen Rahmen zusammen. Ob er im Laufe der Geschichte als Fotorahmen, als Grenze, als Zaun oder als Baum gesehen wird, ist der Fantasie des Publikums überlassen. Die Inszenierung lässt ihr ohnehin großen Raum. Die vier Schauspielenden wechseln nahtlos vom Erzählen ins Spiel, werden von einer Sekunde auf die andere zu einem naiven Murmeltiermädchen (Severin Mauchle), einem arroganten Papa Pavian (Alicja Rosinski), einem skeptischen Herrn Mufflon (Christine Ochsenhofer) oder dem Neuen, dem kritisch denkenden jungen Bären (Hermann Book), von Tieren zu Kindern, zu Soldaten. Dass sie dabei Rollen gegen die Geschlechter annehmen, ist mittlerweile schon selbstverständlich. Den raschen Wechsel ermöglichen auch die unspezifischen Alltagskostüme (Lili Warner). Bis auf eine Fellmütze für das Murmeltiermädchen gibt es kein charakterisierendes Kostümteil oder Requisit. Allein durch Bewegungen und Geräusche zeigt das Ensemble die Tiere (und einige Menschen) und kann danach wieder Erzählpassagen übernehmen. Das schafft schnelle Übergänge und Leichtigkeit, die Zuschauenden bekommen Raum für ihre eigene Vorstellungskraft. Kinder ab der sechsten Klasse können die Handlung auf dieser Ebene verstehen, ältere Schüler:innen werden sehr schnell deren Parabelcharakter erkennen.

 „Hier ist man gut zu uns, solange wir uns benehmen.“

Raschke hat kein Stück über das KZ Buchenwald schreiben wollen, sondern eines „über die Frage: Bär oder Pavian?“. Thema ist die Zivilcourage  auf der einen und das Wegschauen auf der anderen Seite. Nach dem Tod des Nashorns wird ein junger Bär aus Sibirien in Ketten und mit einem Zug in den Zoo eingeliefert. Den Tieren dort geht es gut, sie erfüllen ihren Job als Unterhaltungsmaterial. „Hier ist man gut zu uns, solange wir uns benehmen“, weiß Papa Pavian. Aber der Bär veranstaltet keine Kaspereien. Er sieht die vielen dürren Gestreiften auf der einen und die Gestiefelten auf der anderen Seite des Zauns. Wegen des beißenden Geruchs träumt er – hier werden auf den Rundhorizont zu einem leise grollenden Sound Schattenfiguren projiziert – von verbrannten Kindern, die rufen: „Schau doch hin! Sie verbrennen uns alle.“ Daraufhin beginnt er zu handeln und schafft es, dass der Schornstein des Krematoriums explodiert. Jüngere Kinder könnten diesen Schluss durchaus als versöhnlich verstehen, denn die Vögel, die wegen des Gestanks geflohen waren, kehren mit Geschenken zurück. Aber es sind wohl eher Flugzeuge mit Bomben – und die bedeuten Krieg. Aber sie läuteten auch das Ende des Konzentrationslagers Buchenwald ein.

Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/was-das-nashorn-sah-11

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Wegschauen vs Hinsehen
  • Anpassung vs Zivilcourage
  • Der Wert des Lebens
Formale SchwerpunKte
  • Wechsel von Erzählung zu Spiel
  • Darstellung von Tieren über Bewegung und Geräusch
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

ab 11 Jahre, von Klasse 6 bis 13.

empfohlen für den Geschichts-, Deutsch- und Theaterunterricht

Zum Inhalt

Kein Tier weiß oder will wissen, warum das Nashorn gestorben ist. Am besten, man fragt gar nicht erst nach, sondern erledigt seinen Job innerhalb des Zoos. Hier soll man möglichst viele lustige Sachen machen, damit sich die Kinder und Familien der Gestiefelten am Sonntag amüsieren, denn der Zoo liegt in einem Gebiet, in dem es schöne Häuser (für die Gestiefelten) und hässliche Häuser (für die dürren Gestreiften) gibt. Getrennt werden die Bereiche durch einen „summenden, brummenden Zaun“. Eines Tages wird ein junger Bär aus Sibirien eingeliefert. Man hat ihn einfach so von seiner Familie getrennt, in Ketten gelegt und mit einem Zug in den Zoo gebracht. Anstatt sich wie die anderen Tiere an die Regeln anzupassen, beginnt der Bär Fragen zu stellen und genauer hinzusehen. Er erkennt die Qual der Gestreiften und die Grausamkeiten der Gestiefelten, er nimmt den Gestank aus dem Schornstein wahr und sieht, dass es deshalb keine Vögel mehr gibt. Er träumt von verbrannten Kindern und davon, dass auch er verbrannt werden wird. Trotz der Warnung der anderen Tiere beginnt er zu handeln. Durch einen Tunnel gräbt er sich bis zum Krematorium durch, klettert auf dessen Schornstein und opfert sich für die anderen, indem er sich hineinfallen lässt. Der Schornstein verstopft und explodiert. Und es scheint, dass es auch bald mit dem Zoo ein Ende haben wird.  

   

Mögliche VorbereitungeN

Die Theaterpädagogik hat auf der Seite : https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/was-das-nashorn-sah-11 (man muss ganz nach unten scrollen) Extras zur Inszenierung zum Downloaden zusammengestellt, die sowohl für vorbereitende Hausaufgaben als auch für Referate verwendet werden und im Unterrichtsgespräch diskutiert werden können.

  • Eine Audio-Einführung zu „Was das Nashorn sah“ der Dramaturgin Mia Massmann
  • Regisseur Alexander Riemenschneider im HörSpielHaus-Podcast
  • Eine Flut von Recherche-Tipps zur Produktion mit Empfehlungen zu Artikeln, Filmen, Texten und Podcasts, die geschichtliches Hintergrundwissen zum Stück bereitstellen, sowie auf Antisemitismus und unsere Verantwortung heute eingehen.
Speziell für den Theaterunterricht
Darstellung von Tieren über Bewegung und Geräusch

Die Spielleitung lässt die Gruppe in neutraler Haltung und neutralem Tempo 3 durch den Raum gehen. Auf ein Signal hin bewegen sich die Spieler:innen auf Ansage hin als Affen, Storch, Elefanten, Bären u.ä. und machen dazu entsprechende Geräusche. Ein weiteres Signal beendet die jeweilige Verwandlung. Es geht zurück in den Raumlauf, bis ein neues Tier dargestellt werden soll.

Variation: Statt der Tiere sollen Menschen mit Emotionen dargestellt werden: staunend, naiv, martialisch, ängstlich, mächtig, schüchtern, kritisch usw.

Sinnvoll ist es, immer zwei oder drei Spieler:innen zum Zuschauen an den Rand zu setzen (öfter durchwechseln), um anschließend die Wirkung zu besprechen.

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