The Pride

Wie will ich leben und wie ehrlich stehe ich zu mir selbst? Homosexualität gestern und heute beleuchtet Alexi Kaye Campbell in seinem preisgekrönten Stück.

Sylvia (Lisa O’Connor) redet Oliver (Daniel Cane)ins Gewissen – Foto: Stefan Kock

DIE KRITIK

Alle Achtung. Das English Theatre hat mit der Inszenierung von „The Pride“ ein wichtiges zeitgenössisches Stück ins Programm genommen, das aber zarte Gemüter durchaus verstören könnte. In den Dialogen finden sich Ausdrücke, die jedem Milieu-Rapper zur Ehre gereichen, sexuelle Gewalt wird nicht nur beschrieben, sondern auch – allerdings immer noch irgendwie dezent – gezeigt. Nein, Paul Glaser, der das preisgekrönte Stück des britischen Autors Alexi Kaye Campbell inszeniert hat, ist nicht zimperlich. Was er und sein ausgezeichnetes Ensemble über knapp drei Stunden (inklusive einer 20minütigen Pause) auf die Bühne am Lerchenfeld bringen, ist differenziert und voller Einfühlungsvermögen.  Es geht um Homosexualität, genauer um die Haltung dazu. Campbell vergleicht dazu die Situation in den 50er Jahren mit der von heute am Beispiel von drei Personen: Philip, Sylvia und Oliver. Ein interessanter Gedanke, der jedoch einen logischen Haken hat: Die Geschichte, die 1958 beginnt, setzt sich mit den gleichen Charakteren 2008 fort. Dazwischen liegen 50 Jahre, die Gesellschaft hat wie die Figuren eine Entwicklung durchgemacht, ist freier und selbstbestimmter geworden. Nur sind die Figuren nicht älter geworden, führen aber ihre 1958 begonnene Geschichte fort. Der Abend des ersten Kennenlernens und die damit verbundenen Probleme sind allenfalls ein gutes Jahr alt. Aber sei’s drum. 

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Cocktailsessel und eine projizierte Blümchentapete (Bühne: Mathias Wardeck) versetzen das Spiel ins Jahr 1958. Alles ist blitzblank, die Gastgeberin Sylvia (Lisa O’Connor) wunderbar herausgeputzt in ihrem Petticoat-Kleid, ihr Mann Philip (Mat Betteridge) sitzt in korrektem Anzug (Kostüme: Patricia Royo) und mit strammem Scheitel am Tisch. Bereits in den ersten Minuten wird deutlich, dass hier etwas nicht stimmt. Mat Betteridges Philip verzieht kaum eine Miene, seine Bewegungen sind kontrolliert. Was er darstellt, ist das Bild eines ordentlichen Bürgers. Lisa O’Connor als seine lebensfrohe und – wie sich bald herausstellen wird – lebenskluge Frau spielt das Spiel zunächst einmal mit. Irgendwann jedoch wird sie ihn zur Rede stellen, ihn fragen, warum er mit ihr keine Kinder haben will und was er eigentlich tatsächlich will vom Leben. Philip blockt das alles ab. Er will vor ihr und vor allem auch vor sich selber nicht zugeben, dass er sich zu Oliver, einem Journalisten und Autor, den Sylvia eingeladen hat, hingezogen fühlt. Oliver weiß um seine eigene Homosexualität, Daniel Cane verrät ihn jedoch nicht an eine Klischee-Tucke, vielmehr gibt er sich aufmerksam, charmant, offen. Am Abend seines Besuchs, dem ersten Zusammentreffen zwischen Philip und ihm, entsteht eine spürbare Spannung, ohne dass tatsächlich etwas passiert. Zumindest an diesem Abend. Später wird man erfahren, dass beide eine Affäre hatten. Dass Oliver sich ernsthaft verliebt hat, Philip aber das alles erst vor sich selbst leugnet, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Seine Neigung versucht er mit Hilfe einer hanebüchenen Therapie auszumerzen.

Wie will ich leben?

An dieser Stelle sei Matt Hastings erwähnt, der als buchhalterischer Arzt genauso überzeugt wie  als jovialer Redakteur mit Cockney-Akzent und sauschlechten Witzen oder als Call-Boy in Nazi-Uniform. Matt Betteridges Philip ist ein in sich Gefangener, ein armer Hund, der nicht weiß, wie er mit sich klarkommen soll. Sylvia hat ihn längst durchschaut und wohl deshalb auch Oliver eingeladen. Als Bindeglied zwischen beiden Männern bleibt sie beiden auch 2008 erhalten. In diesem wenig plausiblen Zeitsprung, der sich während der drei Akte immer wieder mit dem Jahr 1958 verschränkt, hat sich Philip zu seiner Sexualität bekannt. Er weiß, wer er ist und was er vom Leben will. Nur Oliver nicht. War er vorher noch stolz, zu seiner Neigung zu stehen, ist er jetzt durch seine Promiskuität aus der Bahn geworfen. Denn Philip, der eine ernsthafte Beziehung will, kann Olivers Sexsucht nicht akzeptieren. Er verlässt ihn mit der Aufforderung für sich zu klären, was er will. Es geht nämlich in diesem Stück nicht nur um den Umgang mit der Homosexualtät. Es geht auch um die viel größeren Fragen: Wie will ich leben und wie ehrlich bin ich zu mir selbst?

https://eth-hamburg.de/2022/10/17/the-pride/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte

Der Umgang mit Homosexualität in den 50er Jahren und heute:

  • Die Wahrung einer vermeintlichen Normalität und die Verleugnung der Homosexualität in den 50er Jahren
  • Die Frage nach Ehrlichkeit sich selbst gegenüber
  • Die Frage nach der sexuellen Befreiung und Akzeptanz heute
Formale Schwerpunkte
  • Gegenüberstellung zweier Zeiten innerhalb eines Aktes
  • Andeutung der jeweiligen Zeit über Kostüme
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen

Im Vorfeld verweist das English Theatre auf die Darstellung von „sexual violence“ und die Verwendung von „explicit language“

  • ab 17/18 Jahre; ab Klasse 12
  • empfohlen für den Englischunterricht 
Zum Inhalt

Das Stück behandelt zwei Zeitebenen: 1958 zeigt Philip, einen Makler, und seine Frau Sylvia, eine ehemalige Schauspielerin, die jetzt als Illustratorin arbeitet. Beide sind seit ein paar Jahren verheiratet, aber Sylvias Wunsch nach einem Kind erfüllt sich nicht. Wie sie später einmal zugibt, fühlt sie sich von Philip nicht richtig geliebt. Sie spürt, dass er eventuell eher an Männern interessiert ist. Als sie den Journalisten und Autor Oliver einlädt und mit Philip bekannt macht, erweist sich ihre Vermutung als richtig. Philip und der sehr viel offenere Oliver beginnen eine Affäre, die Philip jedoch schnell beendet und als Ausrutscher deklariert. Er begibt sich sogar in ärztliche Behandlung, weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf. Die gutbürgerliche heterosexuelle Fassade soll gewahrt bleiben.

Ein Zeitsprung in das Jahr 2008 zeigt die gleichen drei Personen, die jedoch ganz anders mit der Situation umgehen. Sylvia hat sich von Philip getrennt und mit Mario einen neuen Partner, der durchaus Kinder will. Sie selbst ist aber weiterhin mit Philip und Oliver befreundet. Oliver, der seine Sexualität relativ hemmungslos auslebt und keine Skrupel hat, sie bei irgendwelchen Strichern in dunklen Plätzen auszuleben, hat sich aber tatsächlich ernsthaft in Philip verliebt. Der war sogar bei ihm eingezogen, hatte seine Homosexualität akzeptiert und sich eine dauerhafte, monogame Beziehung versprochen. Als er von Olivers Promiskuität erfährt, ist er enttäuscht und verlässt ihn. Wie vorher Philip muss sich Oliver jetzt entscheiden, wie er leben will.

Mögliche VorbereitungeN
Speziell für den Englischunterricht

In englischer Sprache verfasstes Vorbereitungsmaterial (Angaben zum Autor, Überblick über das Stück, ausführliche Inhaltsangabe der drei Akte, Fragen zum Inhalt, weiterführende Fragen) findet sich unter:

http://eth-hamburg.de/wp-content/uploads/2022/11/Study-Guide_The-Pride.pdf

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