Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge

Zeitgeschichte direkt vor der Haustür. Was mit der Bornplatzsynagoge 1938 im Grindelviertel geschah und wie diese Ereignisse bis in die Gegenwart hineinwirken, davon erzählt Axel Schneiders ambitioniertes Stück „Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge“ in den Hamburger Kammerspielen. 

Len (re: Johan Richter) begutachtet die Tora-Krone des Antiquitätenhändlers (Franz-Joeph Dieken). – Foto. Bo Lahola

Die Kritik

Der Anruf hatte ihn skeptisch gemacht. Ein windiger Antiquitätenhändler (in mehreren Rollen: Franz-Joseph Dieken) hatte Len (Johan Richter) die verschollen geglaubte Tora-Krone der Bornplatzsynagoge zum Kauf angeboten, aber jetzt präsentiert er sie ihm tatsächlich. Len glaubt zunächst an einen Fake, schließlich war doch mit dem Brand im November 1938 alles vernichtet worden. Außerdem gehört die Tora-Krone der Jüdischen Gemeinde, muss also nicht zurückgekauft werden.

Mit dieser Szene beginnt „Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge“, ein Stück, das Axel Schneider, Intendant der Hamburger Kammerspiele, aus aktuellem Anlass für das Haus in der Hartungstraße geschrieben hat. Der aktuell laufende Architekturwettbewerb um den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge, deren Geschichte und Gespräche mit Daniel Sheffer, dem Vorsitzenden der Bornplatzsynagoge, setzten dazu den Impuls. Mit von der Partie für genaue historische Recherche war der Dokumentarist und Autor Michael Batz. In dem informativen Programmheft (Redaktion: Anja Del Caro) erläutert er den Titel des Stücks: „Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge“ sei eine Abänderung des traditionellen jüdischen Wunsches „Nächstes Jahr Jerusalem“. Darin drückt sich die Sehnsucht aus nach Rückkehr und dem Leben in Jerusalem. Dort war einst der Tempel zerstört worden, auf dessen Wiederherstellung man hofft. Und so hofft man auch auf den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge.

Als in den 1990er Jahren in Rostock und Lübeck ein Ausländerheim und eine Synagoge brennen, beginnt Len den Kampf des Vaters aufzunehmen.

Das Stück begleitet die fiktive Familie Stein von November 1938 bis zum 19. September 2025. Eine Geigenspielerin (auch als junge Lea: Isabelle Stoppel) sorgt für die Überleitungen zwischen den kurzen Szenen, eine Stimme aus dem Off, unterlegt mit dem Klappern einer Schreibmaschine, nennt das jeweilige Datum und den Ort. Mit wenigen Möbeln oder Requisiten werden in dem mit drei hellen Vorhängen schlicht gehaltenen Bühnenbild (Ulrike Engelbrecht) verschiedene Räume wie das Wohnzimmer der Steins, eine Amtsstube oder der Warteraum eines Krankenhauses angedeutet. Ein Video projiziert Flammen auf die Vorhänge: Reichsprogromnacht, die Synagoge steht in Flammen. Die Eltern Stein (als Vater und in anderen Rollen: Ingo Meß, als Mutter und in anderen Rollen: Sarah Diener) beschließen, ihren 13jährigen Sohn Aron (Johan Richter) nach Palästina zu schicken, weil sie ihn dort in Sicherheit wissen. Als junger Erwachsener kehrt Aron zurück nach Hamburg, um das Grab seiner Eltern zu besuchen. Doch er verliebt sich, bleibt in der Stadt hängen und beginnt sich mit der Bornplatzsynagoge zu beschäftigen. Als in den 1990er Jahren in Rostock und Lübeck wieder Ausländerheime und Synagogen brennen, beginnt sein Sohn Len nach dem Tod des Vaters dessen Kampf aufzunehmen. Es gelingt ihm schließlich, dass der Carlebach-Platz, auf dem einst die Synagoge stand, an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben wird, begleitet von einer Entschuldigung der Hamburger Bürgerschaft. 

In nur 90 Minuten erzählen Schneider und sein Ensemble die 86jährige Geschichte der Bornplatzsynagoge. Um auch die sauber recherchierten historischen Fakten unterzubringen, wirken jedoch manche Dialogpartien etwas zu sehr belehrend. Andererseits: Es gibt leider noch immer zu viele Menschen, die wenig oder gar nicht wissen, was die Synagoge und deren Zerstörung für die Jüdische Gemeinde bedeutet hat. Und Schneider zeigt ein differenziertes Bild der Juden und der Familie Stein, die sich nach 1945 Steiner nennt. Aron gibt er eine Vergangenheit bei der israelischen Untergrundmiliz Haganah, sein Son Len ist ein Hitzkopf, der von anderen ermahnt werden muss, nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. 

„Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge“ ist ein wichtiges Stück zum richtigen Zeitpunkt und sollte vor allem unbedingt auch von Schulklassen besucht werden.

Weitere Informationen unter: https://hamburger-kammerspiele.de/programm/naechstes-jahr-bornplatzsynagoge/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte 
  • Umgang der Nationalsozialisten mit der jüdischen Synagoge
  • Bedeutung der Synagoge für die Jüdische Gemeinde
  • Vertuschung der Fakten
  • Schwierigkeiten auf dem Weg zur Wiederherstellung der Synagoge
Formale SchwerpunKte
  • Kurze, historisch eingeordnete Szenen
  • Übernahme von verschiedenen Rollen durch wenige Schauspieler.innen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 13/14 Jahre, ab Klasse 8
  • Empfohlen für den Geschichts- und Deutschunterricht
Zum Inhalt

Im November 1938, der Reichsprogromnacht, brennt die Bornplatzsynagoge, das Leben der Juden in Deutschland ist bedroht. Die Hamburger Familie Stein schickt ihren 13jährigen Sohn Aron nach Palästina, was für Kinder unter vierzehn Jahren noch erlaubt ist, die Eltern bleiben in Hamburg und werden später deportiert. Als Erwachsener will Aron, der in Israel für die Untergrundmiliz Haganah gekämpft hat, in die USA emigrieren, macht aber einen Zwischenstopp in Hamburg, um das Grab der Eltern zu besuchen. In Hamburg aber verliebt er sich in Lea, heiratet sie und bekommt mit ihr einen Sohn, Len. Mit ihm geht er in die Synagoge, zeigt ihm ein Bild mit der Bornplatzsynagoge, für die sich Len zu interessieren beginnt. Als in den1990er Jahren Anschläge auf Ausländerheime und Synagogen in Rostock und Lübeck verübt werden und der Antisemitismus kaum noch verdeckt ist, will Len handeln. Er nimmt den vom Vater begonnenen Kampf um den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge auf und schafft es schließlich, dass der Carlebach-Platz, auf dem sie früher gestanden hat, offizielle an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben wird, und die Hamburger Bürgerschaft sich in diesem Zuge verspätet entschuldigt.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu:

  • Reichsprogromnacht 
  • Juden im Nationalsozialismus
  • Bornplatzsynagoge
  • Begriffen wie Tora, Tora-Krone, Torarolle usw.
  • Lektüre zu Juden in Deutschland während der NS-Zeit (z.B.: Hans Peter Richter: Damals war es Friedrich – ab Klasse 7)   

 

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