Lawrence von Arabien

Der Nahe Osten kommt nicht zur Ruhe. Nur wo haben die heutigen Konflikte ihren Ursprung? Und ist es eigentlich ein Gesetz, dass türkischstämmige Schauspieler:innen nur die Fatimas und Alis spielen dürfen und Darsteller:innen mit dunkler Hautfarbe sowieso keine Hauptrollen an deutschen Theatern bekommen? Das Problem mit der weißen westeuropäischen Macht untersucht Jona Manow auf zwei Ebenen in seiner ambitionierten Inszenierung von „Lawrence von Arabien“ im Theater Das Zimmer.

Wer spielt Lawrence und wie kämpfen wir am besten für die Freiheit des arabischen Volkes? (v.re: Yasemin Cec, Eveline Burgdorf, Dominic Jarmer) – Foto: Patrick Bieber

Die Kritik

Von Wüste keine Spur. Die Bühne im kleinsten Hamburger Theater gleicht mit den beiden Stühlen, dem langen Schreibtisch und der weißen Papierwand eher einem Arbeitszimmer. Hier wird gleich – ja was? – eine Probe zu „Lawrence von Arabien“ stattfinden. Aber noch ist niemand da, außer der Schauspielerin Yasemin Cec. Die schaut unsicher ins Publikum, rennt wieder weg und beginnt dann erstmal alleine mit der ersten Szene. Es sind zwei Rollen, aber egal. Ist ja keiner da von den anderen. Bis endlich ihr Kollege Dominic Jamer erscheint, zu spät natürlich, denn angeblich fehlte ihm das für seinen Auftritt entscheidende Stichwort. 

Es gehört zum Stil von Regisseur Jona Manow zwei Ebenen in seinen Inszenierungen zu berücksichtigen: die des eigentlichen Spiels, in diesem Fall die Geschichte von „Lawrence von Arabien“, und die des Arbeitsprozesses inklusive privater Auseinandersetzungen. Das Ganze gleicht dann mehr einer Stückentwicklung, denn das Abspielen eines festen Textes gibt es in dieser Form nicht, dafür aber Ideen der Schauspielenden, die einen gleichwertigen Eingang in die Inszenierung finden und dadurch den eigentlichen Text aktualisieren und/oder persönlicher werden lassen. Ähnlich hat Manow an diesem Haus  bei „Lysistrata“ und bei „Eine Insel mit zwei Zwergen“ gearbeitet, in dieser Produktion wird dadurch allerdings das Thema der Geschichte noch zusätzlich erweitert. 

Eigentlich sollen die Rollen unter den drei Schauspielenden durchgetauscht werden.

Doch der Reihe nach. „Lawrence von Arabien“ ist eigentlich ein Film. 1962 gedreht mit Star-Besetzung (Peter O’Toole, Omar Sharif, Alec Guiness, Anthony Quinn), oscarprämiert und stolze drei Stunden und 42 Minuten lang. Als Grundlage diente „Die sieben Säulen der Weisheit“, das autobiografische Werk von Thomas Edward Lawrence. Der erzählt darin, wie er im Ersten Weltkrieg an der Seite der arabischen Guerillas erfolgreich gegen das Osmanische Reich kämpft und – das zeigt vor allem der Film – zum Freund der Araber und Helden wird. Manow lässt seine drei Schauspielenden – als dritte tritt Eveline Burgdorf auf – die Regieanweisungen für den Film inklusive Kamera-Einstellungen über ein Mikrofon vorlesen und dann die jeweilige Szene spielen.  Dabei sollen eigentlich die Rollen durchgetauscht werden (was allerdings das Verfolgen der Handlung für die Zuschauenden erschwert), doch hier ergeben sich grundlegende Probleme: Ist es richtig, dass der weiße Dominic Jamer durchgängig den Lawrence spielt, bloß weil er das bereits in zwei aufeinander folgenden Szenen getan hat? Wer gibt ihm das Recht, zu bestimmen, dass die türkischstämmige Yasemin Cec den Part aus dem Koran vorlesen und die Rolle des Ali übernehmen muss? Und die Afrodeutsche Eveline Burgdorf wird gar nicht erst gefragt, ob sie einmal die Titelrolle übernehmen möchte. Die in der Lawrence-Geschichte angelegte  westeuropäischen Dominanz gegenüber den Ländern des Nahen Ostens wird hier geschickt auf die weiße Vorherrschaft im deutschen Theaterbetrieb übertragen und diskutiert. 

Palästina muss noch auf den versprochenen eigenen Staat warten.

Auf der Papierwand sind die Umrisse von Ländern des Mittelmeerraums aufgemalt worden. Nach der Pause kleben darauf gelbe Post-Its mit Zahlen von 1 bis 15,  die den Namen des jeweiligen Landes verdecken. Den müssen die Zuschauer:innen  – sie vertreten in Blöcken die Alliierten und die Türkei – in einer von Jamer großartig moderierten Game-Show („Wir hauen die Länder raus, als gäbe es kein Morgen!“) erraten. Großzügig wird dadurch der Nahe Osten aufgeteilt, Palästina muss noch auf den versprochenen eigenen Staat warten – mit einem Nebensatz wird dieses brisante Thema in der Show erwähnt. Das ist das große Plus dieser Inszenierung: Manow und seinem bestens aufgelegten Ensemble gelingt bei der Verhandlung der aktuellen Probleme eine Leichtigkeit, die den Abend zu einem Vergnügen macht und zudem den Horizont erweitert. Einmal mehr lohnt sich der Weg zu Hamburgs kleinstem Theater in der Washingtonallee.

Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de/Veranstaltung/lawrence-von-arabien/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Vorherrschaft der westlichen Welt
  • Weiße Dominanz an deutschen Bühnen
  • Migrationshintergrund und Hautfarbe als Problem bei der Rollenbesetzung
Formale SchwerpunKte
  • Wechsel zwischen Ebene des Probens und des eigentlichen Spiels.
  • Dadurch: Wechsel zwischen Alltagskommunikation und Rollentext im Zusammenhang mit Lichtwechsel
  • Vorlesen der Regieanweisungen über Mikrofon
  • Filmmusik zur Untermalung der Spielszenen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 16/17 Jahre, ab Klasse 11/12
  • Empfohlen eventuell für den Geschichtsunterricht, vor allem für Kurse des Darstellenden Spiels
Zum Inhalt

Der britische Offizier Thomas Edward Lawrence wird im Ersten Weltkrieg auf die arabische Halbinsel gesandt, um die Araber im Kampf gegen die Osmanen zu unterstützen. Er freundet sich mit dem arabischen Fürsten Faisal an und schafft es, mit ihm gemeinsam für die Freiheit des arabischen Volkes zu kämpfen. Mit Erfolg. Er erobert die wichtige Hafenstadt Akaba und wird als Held gefeiert. Die Araber sehen sich bereits als unabhängiges Volk, aber die Briten lehnen das ab. Als Lawrence davon erfährt, beschließt er mit den Arabern Damaskus einzunehmen und den britischen Einfluss zu verhindern. Doch er scheitert, denn Europa und das Osmanische Reich teilen die arabischen Länder unter sich auf.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zum Inhalt der Buchvorlage „Die sieben Säulen der Weisheit“ von Thomas Edward Lawrence

Recherche zur Geschichte des Nahost-Konflikts

Recherche zur Zusammensetzung von Theaterensembles an ausgewählten deutschsprachigen (staatlichen) Bühnen (Anteile von Schauspielenden mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, mit nicht weißer Hautfarbe)

 

Im Unterrichtsgespräch:

Ein Afrodeutscher/ eine Afrodeutsche und ein weißer Deutscher/ eine weiße Deutsche bewerben sich mit gleicher Qualifikation um eine Stelle in einem Unternehmen. Diskutiert, wer welche Chancen hat und warum.

Speziell für den Theaterunterricht
Erstellen einer Szene

Die Spielleitung teilt den Kurs in Vierergruppen ein.

Aufgabe:
  • Ein:e Regisseur:in will ein Drei-Personen-Stück besetzen. Es gibt eine Haupt-, eine Neben- und eine Statistenrolle, die kaum Text und Auftritte hat. Alle drei Schauspielenden haben die gleiche Qualifikation, alle möchten gerne die Hauptrolle spielen.
  • Überlegt euch eine Methode, nach der der/ die Regisseur:in die Rollen besetzt. Die Methode darf gerne ungewöhnlich sein. Wie reagieren die einzelnen Schauspieler:innen darauf?
  • Gestaltet eine Szene, die die Rollenverteilung und die Reaktion der Schauspielenden darstellt. Berücksichtigt dabei den Szenenaufbau mit Anfang, Höhepunkt und Schluss.
  • Präsentation und Feedback

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