Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini-Studien)

Bald sind sie weg. Dann wird man keine seiner Arbeiten mehr auf einer Bühne sehen können. René Pollesch, Theaterregisseur und Dramatiker, hatte verfügt, dass niemand seine Stücke inszenieren dürfe, außer ihm selbst. Seit seinem frühen Tod im Februar letzten Jahres gibt es kaum noch Möglichkeiten, Arbeiten von ihm zu sehen. In Hamburg ging das immerhin an zwei Abenden. Nikolaus Besch hatte das philosophische und trotzdem so unterhaltende „Ich weiß nicht, was ein Ort ist, aber ich kenne seinen Preis (Manzini-Studien)“ zu seinem Hamburger Theaterfestival einladen können. 

Martin Wuttke, Marie Rosa Tietjen, Kathrin Angerer (v.li) – Foto: Appolonia T.Bitzan

Die Kritik

Eigentlich ist das schon das Ende. Behaupten jedenfalls die Schauspieler:innen K (Kathrin Angerer), R (Marie Rosa Tietjen) und M (Martin Wuttke), als sie vor den schwarz-weiß gestreiften Vorhang treten. Nach sechs Stunden Proben zum Sommernachtstraum stecken sie noch in entsprechenden Kostümen, sind fix und fertig und überlegen, ob das nicht hätte besser ausgehen können. Das nicht näher definierte „Das“ könnte sowohl Shakespeares Stück als auch das Leben an sich meinen. Denn beides wird an diesem klugen, gleichzeitig aber amüsanten 100minütigen Abend überschnitten und auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt. Pollesch hatte das Stück mit dem verwirrenden Titel „Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini-Studien)“ im Dezember 2018 am Zürcher Pfauen uraufgeführt, im Oktober letzten Jahres wurde es von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, an der er bis zuletzt Intendant war, übernommen. 

Bleibt die Frage: Wie kommt der Knacks nach innen?

In Polleschs Diskurstheater, das er stets mit den Schauspieler:innen gemeinsam entwickelte, steht der Text an erster Stelle. Deutlich grenzt er sich damit vom etablierten Theater ab, das er hier auf die Schippe nimmt: mit überdimensioniertem Theaterdonner, der Feststellung, dass der Regisseur ein „vollkommen verzichtbarer Beruf“ sei, dem unmotivierten Perücken-, Bärte- und Kostümwechsel  (Kostüme: Sabin Fleck) oder dem Prospekt mit Bäumen und Wasserfall – gedacht als Kulisse für den Zauberwald des Sommernachtstraum -, das in dem Moment herunter rauscht, in dem jemand das Wort „Wasserfall“ ausspricht. Damit bekommt die Shakespeare-Aufführung einen Knacks und genau darum geht es in Polleschs Stück: um den Knacks, der zerstört, aber der vielleicht auch irgendwie sein Gutes hat. Dieser Knacks zerstört Gegenständliches und Nicht-Gegenständliches wie das Leben und die Liebe. Er ist äußerlich sichtbar, bei einem Teller zum Beispiel, bleibt nur die Frage: Wie kommt der Knacks nach innen? Diese Gedankenspiele erscheinen auf den ersten Blick komisch, tragen aber bei genauerer Betrachtung und durch deren Vertiefung im Laufe des Abends eine Melancholie in sich, der man sich schwer entziehen kann und in der man im Nachhinein fast so etwas wie einen prophetischen Charakter erkennen könnte. „Es gibt einen Punkt im Leben, wo die Zukunft nur so tut, als wäre sie eine“, sagt M. M, der sein Leben zu einem besseren Ende führen möchte und weiß, dass das Leben nicht gut ausgehen kann, „auch wenn man es will.“ Eine überdimensionale King-Kong-Hand (Bühne: Barbara Steiner) senkt sich zu Deodatos Zarathustra herunter. Sie gehört zu einem nicht sichtbaren Wesen namens „Mäx“, das  von K, R und M auf unterschiedliche Art wahrgenommen und angesprochen wird. Eine übergeordnete, gottähnliche Instanz vielleicht, zu der jeder ein eigenes Verhältnis hat. K. schmiegt sich in diese Hand, R untersucht einzelne Teile und M findet in einer absurden Stellung zwischen Zeigefinger und Daumen endlich Ruhe. 

Ein großartiger und kurzweiliger Abend, der zu Recht mit langem Beifall belohnt wurde. Aber Vorsicht mit zu viel Applaus! „Die Welt ist sehr alt. Sie könnte einen Knacks bekommen.“

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