Holzfällen

Alle kriegen ihr Fett weg: die Stadt Wien, die Künstler, die Kritiker, das Burgtheater. So ist das bei Thomas Bernhard. Aber wann hat man jemals seinen bitterbösen Roman „Holzfällen“ so brillant, so nuanciert und so packend erlebt, wie in der musikalischen Lecture Performance von Nicholas Ofczarek und Musicbanda Franui beim Hamburger Theaterfestival auf Kampnagel? Glücklich, wer dabei sein konnte.

Der Ich-Erzähler (Nicholas Ofczarek) als Beobachter bei einem künstlerischen Abendessen – Foto: Tommy Hetzel

Die Kritik

Alle warten auf den Burgschauspieler. Den „grandiosen Schauspieler“, den das Ehepaar Ehepaar Auersberg sozusagen als special guest zu einem künstlerischen Abend eingeladen hat und der erst gegen Mitternacht erscheinen wird. Warten auf den Burgschauspieler Nicholas Ofczarek muss niemand in der ausverkauften Halle K6 auf Kampnagel. Der tritt auch nicht mit großem Effekt auf, sondern marschiert pünktlich gemeinsam mit dem 10köpfigen Ensemble der Muicbanda Franui auf die Bühne. Auch vom Kostüm her –  schwarze Hose und schwarzem T-Shirt mit weißem Rechteck links auf der Brust – hebt er sich nicht heraus, ist er der Primus inter pares. Ofczarek liest nicht, er performt Thomas Bernhards Satire auf den Kunstbetrieb und auf das, was damit zusammenhängt. Als der namenlose Ich-Erzähler („der voreilig eingeladene Schönheitsfehler dieses Abendessens“) verfolgt er vom Ohrensessel aus das Geschehen, kommentiert das Überdrehte der Gastgeber und seziert ihre und die Heuchelei der Anwesenden, kennt aber auch für sich selbst keine Gnade. Er weiß doch, dass er genau so ein Heuchler ist wie alle anderen, für die er nichts als Hass übrig hat, denn er ist der Einladung gefolgt, obwohl er die Auersbergs verachtet. 

Dass Bernhards Roman bei seinem Erscheinen 1984 für einen handfesten Skandal sorgte, verwundert nicht. Bei einer derart bissigen Kritik an einem Heiligtum wie dem Burgtheater und dessen Künstler:innen verstand Österreich keinen Spaß. Wohl aber Nicholas Ofczarek. Selbst seit Jahrzehnten an der Burg engagiert, macht es ihm sichtbar Vergnügen, die Beobachtungen des Ich-Erzählers nachzuempfinden und die Figuren, die er unter die Lupe nimmt, aus dessen Sicht zu imitieren. Bernhards Text (Fassung von Tamara Metelka, Andres Schelt) bietet durch Wiederholungen  wie „dachte ich auf dem Ohrensessel“ einen eignen Rhythmus an, den  Ofczarek aufgreift und mit anziehendem Tempo oder Pausen neu bestimmt. Als gleichberechtigter Partner steht ihm die Musicbanda Franui (Komposition und musikalische Bearbeitung: Markus Kraler, Andres Schett) zur Seite, indem sie den Text untermalt, zu ihm in einen Dialog tritt oder eine Stimmung vorwegnimmt. Gemeinsam erschaffen sie einen großartigen Abend, den man schon jetzt zu den Höhepunkten dieses Theaterjahres zählen darf.

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