Hamlet

Hamlet hat Recht: „Die Zeit ist aus den Fugen“, mal wieder und heute ganz besonders. Anlass genug für Altmeister Frank Castorf, sich Shakespeares Drama zur Saisoneröffnung im Deutschen Schauspielhaus vorzunehmen und es mit vielen Zusatztexten anzureichern. Hat es das nötig? Die gut sechsstündige, in Teilen großartige Inszenierung verliert darüber jedoch den Fokus.  

Hamlet (Peter Behren) und Ophelia (Lilith Stangenberg) – Foto: Just Loomis

Die Kritik

Ein schwarzer Himmel mit weißen Wolken wie nach einer Explosion, davor Nebelschwaden. Rechts ein Gehäuse mit Sehschlitz ähnlich dem Turm eines U-Boots, eine Traverse zeigt die Rückfront des Schriftzugs „EUROPA“, aschgraue Würfel bedecken die Bühne. Sie behindern den Gang der Figuren, lassen sie stolpern, darin schwimmen oder wie besessen darin wühlen. Bühnenbildner Aleksander Denić hat für Castorfs „Hamlet“-Inszenierung eine Endzeitstimmung geschaffen, die den Umgang mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft mit einschließt. Der düster grollende Sound (William Minke) tut ein Übriges. Im Gegenlicht erscheint eine schwarz gekleidete Gestalt mit langem Mantel (Jonathan Kempf) und brüllt: „Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA.“. Es ist der Anfang von Heiner Müllers „Hamletmaschine“, einem 1977 entstandenen zornigen Kurz-Drama in Anlehnung an Shakepeares Original. Müller reflektiert darin die Lage der Intellektuellen in der DDR. Seine Figuren dürfen aus der Rolle heraustreten und sich als Schauspieler:innen darstellen, die, wie schon in Brechts epischem Theater, ein Stück eben nur spielen. Die dadurch entstehende Distanz ermöglicht dem Publikum, das Gesehene zu reflektieren und statt mitzufühlen eher nachzudenken.

Außer Paul Behren als Hamlet hat kein Ensemblemitglied eine feste Rolle.

Diesen Ansatz verfolgt auch Castorf in dieser Inszenierung. Außer Paul Behren als zerrissener, von kaltem Zorn und Selbstekel überwältigter Hamlet hat kein anderes Mitglied des insgesamt neunköpfigen, im Übrigen hervorragenden und bis zur Selbstaufgabe spielenden Ensembles eine feste Rolle. Was insofern Sinn ergibt, als ja eben nicht nur Shakespeares Drama gespielt wird. Gut, darauf wird immer mal wieder in Schleifen zurückgegriffen und dessen gebundene Sprache verwendet. Dann sehen wir Angelika Richter als etwas verplante Gertrud, die nach dem Tod von Hamlets Vater gleich dessen Onkel geheiratet hat. Dessen Part übernimmt salbungsvoll und überlegen Josef Ostendorf. Lilith Stangenberg zeigt ab und zu eine furiose Ophelia, Alberta von Poelnitz und Linn Reusse spielen Rosenkranz und Güldenstern an, Daniel Hoevels und Matti Krause deuten Laertes und Horatio, aber eben auch andere Figuren an. 

Es wird zurück geschwenkt auf die „Hamletmaschine“ – und das hätte an sich gereicht für die Darstellung von Orientierungslosigkeit, Umgang mit Verrat und Unterdrückung und die Schwierigkeiten, eine richtige Entscheidung zu treffen. Aber Castorf wäre nicht Castorf, wenn er sich damit begnügen würde. Wenn er schon mal bei Heiner Müller ist, dann lässt er auch noch weitere Texte von ihm oder anderen Theatermachern als Monologe sprechen oder besser gesagt: ins Publikum brüllen, was für die Schauspieler:in, aber auch für das Publikum kräftezehrend ist. Immer mal wieder sprechen sich die Ensemblemitglieder mit ihren Privatnamen an, treten also, wie von Müller bzw. Brecht gefordert aus den Rollen heraus („Ich spiele den Hamlet“) und kommentieren die Inszenierung, in der „die Männer mehr Text und die Frauen weniger Klamotten“ bekämen. Wohl wahr. Gerade die Kostüme der Schauspielerinnen ähneln mit knappen Glitzer-BHs, hautengen, durchsichtigen Latexhosen oder fragwürdig weit dekoltierten Kleidern an GoGo-Girls (für die insgesamt jedoch fantasievollen, Popkultur aufgreifenden Kostüme: Adriana Braga Peretzki). Castorf nimmt sich mit diesen Passagen selbst auf die Schippe. Als Provokateur und Stücke-Zertrümmerer hatte er sich schon Anfang der 80er Jahre am Theater in Anklam, vor allem aber später als Intendant der Berliner Volksbühne einen Namen gemacht, deren Richtung er in 25 Jahren mit mehr als 100 Inszenierungen entscheidend prägte. „Dem fällt nach fünf Stunden Schuld ein, dass da noch 500 Seiten Sühne kommen“, lässt er eine seiner Schauspieler:innen sagen. Stimmt leider auch für diesen „Hamlet“. Nach drei Stunden Text, Text, Text gibt es die einzige Pause, danach folgen noch einmal knapp drei Stunden. Die zornig gebrüllten Monologe, jeder Text für sich durchaus interessant und nachdankenswert, lässt man nur noch über sich ergehen in der Hoffnung, dass irgendwann ja Schluss ein muss. Sechs Stunden – das ist ein Viertel des gesamten Tages. Möglich, dass  sich diese Form von Castorfs Theater überlebt hat. 

Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/hamlet

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Orientierungslosigkeit und Umgang mit Unterdrückung in Zeiten von Krisen und Epochenumbruch
  • Rolle des Theaters 
Formale SchwerpunKte
  • Heraustreten der Schauspieler.innen aus ihren Rollen
  • Reflexion des Gespielten
  • Keine Rollenfestlegung
  • Einsatz von Live-Kameras, dadurch u.a. Erschließung zusätzlicher Räume
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

Die Vorstellung ist mit sechs Stunden für Schulklassen viel zu lang, könnte aber in der Pause unter Umständen verlassen  werden

  • Ab 17/18 Jahre, ab Klasse 12
  • Nur empfohlen für interessierte und hochmotivierte Kurse im Theaterunterricht
Zum Inhalt

Da diese Inszenierung verschiedene Texte mit  Shakespeares Drama verschränkt, sei hier nur kurz auf den Inhalt von „Hamlet“ und dem Impuls dazu verwiesen.

Zwei Jahre vor dem Tod von Königin ElisabethI scheint sich ein Epochenwandel abzuzeichnen. Ein Liebhaber der Königin, gleichzeitig ein Gönner Shakespeares, wird hingerichtet. Shakespeares Vater stirbt, ebenso sein Sohn Hamnet. All das bedeutet für Shakespeare schwere Einschnitte. Er schreibt sein Drama „Hamlet“. Darin geht es um den Königssohn Hamlet, der den plötzlichen Tod seines Vaters Claudius rächen will bzw soll. Denn der Geist des Vaters ist ihm erschienen und hat ihm erzählt, dass er von seinem Bruder Claudius getötet worden ist. Claudius hat sehr schnell Hamlets Mutter geheiratet und sitzt jetzt auf dem Thron. Um den Täter überführen zu können, verabredet Hamlet mit einer Schauspieltruppe ein Stück, das diesen Mord darstellen soll. Claudius erkennt in seinem Neffen eine Gefahr und will ihn aus dem Weg räumen, was ihm jedoch nicht gelingt. Hamlet erfährt, dass seine Geliebte Ophelia über all das wahnsinnig geworden und ins Wasser gegangen ist. Ihr Bruder Laertes fordert ihn zum Duell. Die Königin trinkt versehentlich den von Claudius bereit gestellten vergifteten Trank und gesteht Hamlet, dass er mit seinem Verdacht richtig lag. Darauf tötet Hamlet den König und danach sich selbst.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu 

  • Shakespeare: Hamlet (genaue Inhaltsangabe oder Lektüre)
  • Heiner Müller: Hamletmaschine (Inhaltsangabe oder Lektüre) u.a. unter: https://de.scribd.com/doc/130592005/Muller-Die-Hamletmaschine
  • Bertolt Brechts epischem Theater
  • Antonin Artaud: Das Theater und die Pest, in: Das Theater und sein Double, Matthes &Seitz, Berlin 2012
  • Frank Castorf

 

Praktische Vorbereitung

Die Spielleitung verteilt eine kurze, evtl. gekürzte Szene aus Shakespeares Text an Gruppen mit drei bis vier Spielerinnen.

Aufgabe
  • Versucht, diese Szene im Stil des epischen Theaters von Brecht umzusetzen. 

Präsentation, Feedback und Besprechung der Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Szene.

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