Es geht um Kolonisation – ein durchaus brisantes Thema. Die im damaligen „Indochine“ (heute: Vietnam) geborene französische Autorin Marguerite Duras setzt sich damit in ihrem Theaterstück „Eden Cinéma“ auseinander Der junge Regisseur Moritz Rux hat es im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses ambitioniert, aber nicht immer klar inszeniert.
Die Kritik
Was sind das eigentlich für Menschen? Gierig, brutal, gleichgültig und kalt ist diese Familie. Reichtum interessiert sie, alles andere ist ihnen egal. Vielleicht liegt es daran, dass die Mutter mit der Pacht eines Hauses inklusive Land über den Tisch gezogen worden ist. Denn das Salzwasser des Meeres hat den Boden ruiniert, das Haus baufällig werden lassen. Also keine stattlichen Ernten und lukrative Handelsbeziehungen zu Europa, wie vom Katasteramt versprochen, sondern statt dessen Bankrott und Armut. Da kann man schon mal bitter werden und nur noch nach Materiellem gieren.
Marguerite Duras beschreibt diese Familie in ihrem Theaterstück „Eden Cinéma“, das auf der Basis ihres 1950 erschienenen Roman „Un barage contra le pacifique“ entstanden ist. Duras setzt sich darin mit dem Problem der Kolonisation im heutigen Vietnam auseinander. Sie selbst kam dort 1914 zur Welt, in einer Zeit, als das Land unter dem Namen „Indochine“ von Frankreich besetzt und ausgebeutet wurde. Die Geschichte der Familie in „Eden Cinéma“ trägt autobiografische Züge, Duras’ Mutter wurde in den Zwanzigerjahren ähnlich übers Ohr gehauen wie die Mutter in ihrem Stück. Wie sie gehörte sie zu den weißen französischen Besatzern, die sich einfach nahmen, was sie wollten. Die Familie mit ihrem Verhalten und ihren Wertvorstellungen – und damit die der französischen Besatzung – wird in dem Stück einem reichen, aber bescheidenen Besucher gegenübergestellt, der sich in die Tochter verliebt und für die Erwiderung dieser Liebe alles tun würde. Geld spielt für ihn dabei keine Rolle. „Es beginnt ein radikales Ringen, ein unübersichtlicher Kampf um den Wert des Lebens und der Liebe“, heißt es im Programmheft.
Die Mutter verachtet ihre Kinder, die Kinder hassen ihre Mutter.
„Unübersichtlich“ scheint hier das Schlüsselwort für das, was der junge Regisseur Moritz Rux mit seinem vierköpfigen Ensemble im Rahmen der „Realnische 0“ inszeniert hat. Die Bühne ist finster und streng. Zur Erinnerung: Die Künstlerin Julia Oschatz hat für den Malersaal mit der „Realnische 0“ ein permanentes Bühnenbild aus variablen, überwiegend schwarzen, weiß gerandeten Elementen geschaffen, das für jede Produktion verwendet werden kann. Bei „Eden Cinéma“ steht in der Mitte ein zweistöckiges, fahrbares Gestell mit einer Luke und einem Sofa mit schwarzen Kissen. Darauf liegt unter einer Decke die für tot gehaltene Mutter (Josef Ostendorf), die sich aber plötzlich mit einem furchteinflößenden Gelächter erhebt und ihren beiden Kindern, dem Sohn Joseph (Mehmet Ateşçi) und der Tochter Suzanne (Alberta von Poelnitz) einen gehörigen Schrecken einjagt. Die Mutter verachtet ihre Kinder, die Kinder hassen ihre Mutter, die Figuren sind damit recht eindimensional beschrieben. Dennoch gelingt es dem Ensemble, ihnen soweit wie möglich Tiefe und Struktur zu verleihen. Ostendorf ist als Mutter zwar ein dominantes Monstrum, aber wie in einem sehr zarten Monolog deutlich, auch ein melancholischer, des Lebens überdrüssiger Mensch. Ateşçis Joseph ist brutal und knallhart in seinen Forderungen. Sein Monolog am Ende, in dem er von der Begegnung mit einer Frau im „Eden Cinéma“ erzählt, hat etwas Nachdenkliches, zeigt ihn aber dennoch als jemanden, der sich nimmt, was er will. Von Poelnitz als Neuzugang im Schauspielhaus-Ensemble spielt eine gefühlskalte, gleichgültige, allein an Autos und Brillanten interessierte Suzanne, die aber auch ganz zärtlich mit der alten Mutter umgehen kann. Suzanne trägt unterschiedliche Gold-Kleider, Joseph mal eine Paillettenhose, die Mutter später ein Glitzergewand (Kostüme: Adriana Braga Peretzki)- möglicherweise ein Zeichen für die materielle Einstellung der Familie. Ihr Gegenüber ist Monsieur Jo (Rosa Lembeck). Mit türkisblauer Plastik-Perücke und Menjou-Bärtchen wirkt sie wie eine Puppe und ist doch in ihrer unbeholfenen Art, ihrer Bescheidenheit und Zuverlässigkeit die Figur, die am menschlichsten und aufrichtigsten erscheint.
Wohin die Inszenierung an diesem 70minütigen Abend will, wird allerdings nicht klar. Der häufige, unmotivierte Kostümwechsel, die eingespielten, wohl nur diesen Wechsel überbrückenden Videos, Josephs unverhältnismäßig lange Erzählung zum „Eden Cinéma“, der Schluss, bei dem die Kinder die Mutter alleine lassen – all das fügt sich nicht recht zusammen und verliert auch das eigentliche Thema, die Kritik am Kolonialismus, aus den Augen. Wie gesagt: ein etwas unübersichtlicher Abend.
Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/eden-cinema
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Kritik an Kolonisation
- Verhandlung unterschiedlicher Wertvorstellungen
Formale SchwerpunKte
- permanenter Sound im Hintergrund
- plakativ gekleidete Figuren
- expressive Darstellung
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Der Abend ist für kaum Schulklassen geeignet, da sich die Handlung kaum erschließt und die Figuren plakativ erscheinen.
Zum Inhalt
Laut Programmheft, aber so in der Inszenierung nicht eindeutig erkennbar: Die Mutter hat vom Katasteramt im ehemaligen „Indochine“ ein Haus mit Land gepachtet in der Hoffnung, dass sie reiche Ernte erwirtschaften und Handel mit Europa treiben kann. Die Deiche, die sie gegen den Pazifik gebaut hat, halten allerdings nicht. Der Boden wird durch das Salzwasser unfruchtbar, das Haus baufällig. Sie kann die Pacht nicht mehr zahlen und ist bankrott. Mit ihren beiden fast erwachsenen Kindern lebt sie in Armut, bis eines Tages mit Monsieur Jo ein reicher Mann erscheint, der sich in ihre Tochter Suzanne verliebt. Mit seinem Geld könnte die Familie finanziell gerettet werden. Allerdings hat er vom Leben andere Vorstellungen als Suzanne und ihre Familie. So beginnt ein Kampf um das, was wirklich zählt.