„Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht.“ Wann bitte hat das jemand zuletzt über eine neue Liebe gesagt? Goethes Werther schrieb die Zeile vor 250 Jahren an seinen Freund Wilhelm. Grund dafür war seine Begegnung mit Lotte. Differenziert und unpathetisch-heutig spielt Jascha Schütz diesen jungen Romantiker im Theater Das Zimmer.
Die Kritik
Werther ist jung und er liebt Lotte. Aber die ist bereits mit Albert verlobt und damit für Werther unerreichbar. Das Leben ohne sie wird ihm unerträglich, es endet – wir wissen es – mit seinem Selbstmord.
1774 verfasste der damals 25jährige Johann Wolfgang von Goethe seinen aus eigenen Erfahrungen gespeisten Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ und traf damit den Nerv seiner Generation. Reihenweise nahmen sich unglücklich Liebende nach der Lektüre das Leben, was dem heute als „Werther-Effekt“ bezeichneten Phänomen seinen Namen gab. Demnach besteht zwischen einer ausführlichen Berichterstattung in den Medien und Suiziden in der Bevölkerung ein kausaler Zusammenhang.
Werthers Problem ist auch 250 Jahre nach Erscheinen des Romans nicht vom Tisch. Wer aussichtslos liebt, leidet. Punkt. Nur der geliebte Mensch kann dem Leben Sinn verleihen, liebt er nicht zurück oder darf es nicht, wird alles grau und schlimmstenfalls nicht mehr lebenswert.
Die Inszenierung beleuchtet auch, was die Begegnung mit Werther in Lotte auslöst.
Im Theater Das Zimmer steht jetzt „Die Leiden des jungen Werther“ auf dem Spielplan. „Werther“ ist auf dem Plakat groß geschrieben, er ist die Hauptfigur, sein Seelenleben breitet er aus in Briefen an seinen Freund Wilhelm. Im Gegensatz zu Nicolas Stemanns berühmter Inszenierung mit Philipp Hochmair, die jahrelang durch die Republik tourte, bleibt Regisseur Björn Kruse nicht bei der One-Man-Show und einem Werther, der sich selbst bespiegelt und an seinem Leiden weidet. Er beleuchtet auch, was die Begegnungen in Lotte auslösen. Das wirkt im ersten Teil des Abends ein wenig aufgesetzt, denn anfangs ist Lotte (Isabella Ginocchio) für den sehr präsenten Werther (Jascha Schütz) vor allem Illustration seiner Beschreibungen. Ganz in weiß gekleidet mit Hängekleidchen und Strumpfhosen verbildlicht sie die brave Unschuld. Sie hängt auf der mit unnötig vielen Requisiten (von Gartenzwergen bis zur Waschschüssel) ausgestatteten Bühne Kinderwäsche auf – schließlich ersetzt sie ja ihren Geschwistern die früh verstorbene Mutter – oder beschäftigt sich sittsam mit einer Häkelarbeit. Allerdings weisen ihre Textpassagen, in denen sie den jeweiligen Zusatz „sagte sie“ mitspricht, auf eine leuchtende Begeisterung für diesen jungen Mann hin, der offenbar ganz anders ist als ihr Verlobter Albert. Im zweiten Teil, wenn sie durch die Eheschließung endgültig für Werther verloren ist und der Briefroman die Ich-Perspektive zugunsten eines allwissenden Erzählers aufgibt, zeigt sie die Zerrissenheit ihrer Gefühle und den Schmerz darüber, dass sie Werther aufgeben muss. Dass das Schlussbild sie wie eine Witwe mit schwarzer Sonnenbrille und Schleier zeigt, gehört zu den teilweise zu dick aufgetragenen Regie-Ideen Kruses.
Was in seinem Inneren an Wut und Verzweiflung tobt, schluckt er herunter.
Aber Schwachpunkte wie dieser sind schnell vergessen, trägt doch vor allem der großartige Jascha Schütz durch den Abend. Der Werther dieses hochtalentierten jungen Schauspielers schreibt zunächst voller Freude, aber ohne übertriebene Begeisterung an Wilhelm, bleibt zart und vorsichtig in den ersten Begegnungen mit Lotte, nur „What A Wonderful World“, das er auf der Gitarre anstimmt, spiegelt sein überbordendes Glück. Als Albert ankommt (er tritt nicht wirklich auf, sondern wird als Hindernis nur durch einen braunen Stuhl zwischen Lotte und Werther dargestellt) und Werther mit ihm über den Selbstmord diskutiert, nimmt Schütz diesem so wichtigen Gespräch jedes Pathos. Er spielt Billard und vertritt wie nebenbei Werthers leidenschaftliche Überzeugung von der Möglichkeit des Freitods. Was in seinem Inneren an Wut und Verzweiflung tobt, schluckt er herunter. Erst später bricht dieser Gefühlswust aus ihm heraus. Dann beendet er das mit Lotte auf dem Klavier gespielte „Halleluja“ mit einem dissonanten Schlag auf die Tasten, dann reißt er Lotte an sich und zwingt ihr einen Kuss auf. Die Ruhe, mit der er aus dem Leben geht, wirkt nach derartigen Ausbrüchen umso stärker.
Ein sehenswerter Abend!
Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de/Veranstaltung/die-leiden-des-jungen-werther/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Leidenschaft und begeisterte Hingabe vs Vernunft und festgelegten Regeln
Formale SchwerpunKte
- Erspielen eines Textes aus der Ich-Perspektive
- Illustration einer Figur (Lotte) durch Spiel
- Live gespielte Musik zur Untermalung einer Atmosphäre
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
- empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Werther hat sein Elternhaus und alles verlassen, was ihn in irgendeiner Weise einschränkt. Begeistert schreibt er seinem Freund Wilhelm von seinem neuen Leben, das er in der Natur verbringt, in der er sich als Maler verwirklichen kann. Bei einer Einladung zu einem Ball begegnet er zufällig Lotte, in die er sich sofort Hals über Kopf verliebt. Es sind vor allem das Uneitle und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich nach dem Tod ihrer Mutter um ihre Geschwister kümmert, die Werther faszinieren und sie in seinen Augen zu einem „Engel“ machen. Allerdings erfährt er auch, dass sie bereits mit einem anderen Mann, Albert, verlobt ist. Da dieser noch auf Reisen ist, nimmt Werther jede Gelegenheit wahr, Zeit mit Lotte zu verbringen und meint, dass auch sie sich in ihn verliebt hat. Werther ist selig bis zu dem Tag, an dem Albert nach Hause kommt. Beide gehen höflich miteinander um, erkennen aber spätestens bei einem Gespräch über den Selbstmord, die grundsätzlichen Unterschiede Ihrer Charaktere: Während Werther von Leidenschaft gesteuert den Suizid als frei bestimmbaren Weg aus einer unerträglichen Situation ansieht, wertet der vernunftgesteuerte Albert ihn als feige und verwerflich. Nach der Hochzeit bittet Lotte den immer verzweifelteren Werther, sie nicht mehr so häufig zu besuchen, was dieser hinnimmt. Er verlässt das Dorf, nimmt zur Ablenkung eine Arbeit bei einem Grafen an, hält aber die Distanz zu Lotte nicht aus. Bei einer letzten Begegnung mit ihr verliert er die Kontrolle, zieht sie an sich und küsst sie. Dann verlässt er sie. Wenig später erbittet er über einen Diener eine Pistole von ihr und tötet sich damit selbst.
Mögliche VorbereitungeN
Als Referat oder vorbereitende Hausaufgabe
- Lektüre (evtl. Inhaltsangabe) von Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther
- Biografisches zu Goethe von 1749 bis 1768
- Charakteristika der Epoche des Sturm und Drang
- Recherche zu Liebeskummer und dessen Folgen
Speziell für den Theaterunterricht
Einsatz von Musik
Die Lehrkraft erklärt der Gruppe die unterschiedlichen Formen des Einsatzes von Musik: Sie dient für die Atmosphäre einer Szene als
- Untermalung
- Verstärkung
- Kontrapunkt (z.B. fröhliche Musik bei einer Beerdigung)
Durch Standbilder (z.B. Jubel beim Fußball) können die unterschiedlichen Funktionen an ausgewählten Musikbeispielen deutlich gemacht werden.
Erarbeitung eines Standbilds mit dem Einsatz von Musik
Aufteilung in sechs Gruppen, je zwei Gruppen bekommen den gleichen Textauszug.
Aufgabe:
Entwerft ein Standbild zu dem euch vorliegenden Textauszug.
Gruppe 1 sucht dazu eine untermalende oder verstärkende Musik.
Gruppe 2 sucht dazu eine kontrapunktische Musik.
Den 19. Julius
»Ich werde sie sehen!« ruf‘ ich morgens aus, wenn ich mich ermuntere und mit aller Heiterkeit der schönen Sonne entgegenblicke; »ich werde sie sehen!« und da habe ich für den ganzen Tag keinen Wunsch weiter. Alles, alles verschlingt sich in dieser Aussicht.
Am 30. Julius
Albert ist angekommen, und ich werde gehen; und wenn er der beste, der edelste Mensch wäre, unter den ich mich in jeder Betrachtung zu stellen bereit wäre, so wär’s unerträglich, ihn vor meinem Angesicht im Besitz so vieler Vollkommenheit zu sehen. – Besitz! – genug, Wilhelm, der Bräutigam ist da! Ein braver, lieber Mann, dem man gut sein muß. (…)
Am 27. Oktober
Ich möchte mir oft die Brust zerreißen und das Gehirn einstoßen, daß man einander so wenig sein kann. Ach die Liebe, Freude, Wärme und Wonne, die ich nicht hinzubringe, wird mir der andere nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit werde ich den andern nicht beglücken, der kalt und kraftlos vor mir steht.
Am 27. Oktober abends
Ich habe so viel, und die Empfindung an ihr verschlingt alles; ich habe so viel, und ohne sie wird mir alles zu Nichts.
aus: https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/werther/chap02.html
Präsentation und die Wirkung der jeweiligen Musik besprechen.