Porneia

Das mit dem Patriarchat hat sich noch lange nicht erledigt. Frauen haben beruflich weniger Chancen, werden schlechter bezahlt und sind nicht zuletzt Opfer von Gewalt. Dass man mit dem Thema humorvoll umgehen und trotzdem einen ernsthaften Diskurs führen kann, zeigt die Uraufführung von Golda Bartons  Stück „Porneia“ im Thalia in der Gaußstraße.

Einigung scheint möglich ( v.l.n.r.: Jannik Hinsch, Nina Sarita Balthasar, Diana Marie Müller, Oda Thormeyer Ruth-Marie Kröger Riah Knight) – Foto: Kerstin Schomburg

Die Kritik

Melli (Ruth-Marie Kröger, alternierend mit Toini Ruhnke) steht vor dem geschlossenen Vorhang der Bühne im Thalia in der Gaußstraße und ist schlecht gelaunt. Sie recherchiert für ihre Doktorarbeit zum Thema Femizide in Literatur und in Mythologie. Immer, schnaubt sie ihrem irgendwo im Publikum verborgenen Professor entgegen, wirklich immer würde der Mann für den Mord entschuldigt: Geisteskrankheit, Erlösung der Frau oder gerechte Bestrafung. Die andere Seite bliebe total auf der Strecke. Auch im wirklichen Leben, ergänzt die plötzlich auftauchende Tricia (Diana Marie Müller). Sie erfährt gerade im Netz jede Menge Hass-Kommentare. Mehr aus Quatsch rufen beide Frauen die „Göttinnen“ um Hilfe an – und tatsächlich: Der Vorhang hebt sich. Auf drei stählernen Gerüsten mit je einem Reifen darum (Bühne: Lani Tran-Duc) thronen die griechischen Göttinnen Athene (Riha Knight), Demeter (Oda Thormeyer) und Aphrodite (Nina Sarita Balthasar), jede durch ein spezielles Kostüm charakterisiert: die sich sehr bald als radikal-kämpferisch erweisende Athene mit einseitigem Kegelkorsett à la Madonna, die mütterliche Zeus-Gattin Demeter in glänzender grüner Robe und Aphrodite, die im Sex das Allheilmittel sieht, mit tiefem Dekolletee im Glitzerkleid (Kostüme: Mariama Sow). Wie die beiden irdischen Frauen im Olymp gelandet sind, können sie sich nicht richtig erklären. Möglich, dass der schüchterne Enrico (Jannik Hinsch) geholfen hat. Er stammt wie sie von der Erde, ist aber von der sexuell unterversorgten Demeter als Lustknabe mitgenommen worden. Leider hat er sie ihrer Meinung enttäuscht („Ich bin eine Fehlbesetzung!“) und hält jetzt ab und zu als Chor (griechisches Drama!) her, um überhaupt eine Aufgabe zu haben.

Eine holzschnittartige Schwarz-Weiß-Malerei bleibt aus.

Für „Porneia“ (der Begriff beschreibt im Neuen Testament sexuelle Betätigung des Mannes außerhalb der Ehe) hat sich Golda Barton von Aristophanes’ Komödie „Lysistrata“ inspirieren lassen. Während sich darin allerdings die Frauen den kriegstreibenden Männern verweigern, um ihre Ziele durchzusetzen, diskutieren die Göttinnen mit Tricia und Melli je nach eigenen Erfahrungen ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Melli argumentiert wissenschaftlich, Tricia nervt zunächst mit obercooler Jugendsprache und dem totalen Durchblick, und Athene möchte ohnehin am liebsten alle Männer abschaffen. Aphrodite sieht den Ursprung männlicher Machtgier und Kampflust im Geschlechtsteil („Kleine Hoden, kleiner Pimmel, rettet sich im Kriegsgewimmel“), Demeter („Ich bin  hier die Vorzeige-Mutti“) kommentiert die Lage mit trockenem Humor und ist eigentlich dafür, das Ganze mit Liebe und Vernunft zu lösen („Es braucht nicht noch mehr Hass und Gewalt.“). Und Enrico, der einzige Mann im Spiel? Bei dem umwerfenden Neuzugang Jannik Hinsch wächst dieser unsichere, von den Göttinnen nicht Ernst genommene Enrico zur Integrationsfigur. Mit dem „Ich hab noch nie…“- Spiel  – das Publikum muss aufstehen, wer den Satz für sich positiv beantwortet, darf stehenbleiben – findet er die Lösung für Männer: für etwas einstehen, helfen, wo es Not tut, usw. Das geschieht mit sehr viel Spaß und fern von jeder sauertöpfischen Besserwisserei. So ist auch die gesamte Inszenierung von Isabelle Redfern angelegt. Den Humor der Vorlage überträgt sie auf das Spiel der Figuren, Tanzeinlagen (Choreografie: Ute Pliestermann), stimmige Musikuntermalung und Songs (Musik/Komposition: Riha Knight) sorgen für Leichtigkeit, eine holzschnittartige Schwarz-Weiß-Malerei bleibt aus. „Wer ist das starke Geschlecht?“ – Darüber ließe sich nach diesem Abend durchaus weiter nachdenken.  

Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/de/stuecke/porneia/181

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Hinterfragen von patriarchalische Strukturen
  • Forderung nach Gerechtigkeit für Frauen
  • Möglichkeiten zur Umsetzung 
Formale SchwerpunKte
  • Einbindung des Publikums
  • Tanz als Mittel der Verständigung
  • Musik und Songs als Kommentar 
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • Empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Melli recherchiert für ihre Doktorarbeit zum Thema Femizid in Literatur und Mythologie. Als Tricia auftaucht, wird Gewalt gegenüber Frauen für sie noch einmal in die Realität geholt, denn Tricia erfährt im Netz Hass-Kommentare. Beide überlegen, wie man die Situation von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft stärken bzw verändern kann und rufen mehr aus einer Laune heraus die Göttinnen an. Tatsächlich finden sie sich auf dem Olymp wieder, begleitet von Enrico, der wie sie von der Erde stammt und Demeter, der Gattin von Zeus, als Lustknabe dienen sollte. Demeter, Athene und Aphrodite vertreten sehr unterschiedliche Meinungen in Bezug auf den Umgang mit Männern. In einer überspitzten Diskussion mit Tricia und Melli kommen sie letztlich – auch durch Enrico –  zu einer möglichen Lösung.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu

  • Femizide (in der Literatur, in der BRD 2025)
  • Gewalt gegen Frauen
  • Aufstiegsmöglichkeiten und Bezahlung von Frauen im Beruf
  • Verteilung von Care-Arbeit (Anteil Frauen – Männer)
  • Gleichberechtigung von Männern und Frauen
  • Aristophanes: Lysistrata (Inhalt)

 

Speziell für den Theaterunterricht
Integration durch Formation 
  • Die Gruppe bildet einen geschlossenen Kreis mit dem Gesicht in den Innenkreis. Eine Person steht außerhalb. 
  • Die Gruppe öffnet den Kreis, blickt auf die außenstehende Person.
  • Die außenstehende Person tritt in den Kreis.
Annäherung durch Tanz

Die Gruppe geht zur Musik durch den Raum. Dabei bleibt zunächst jede:r für sich. Allmählich beginnen die Personen, andere wahrzunehmen. Sie nähern sich an, berühren sich und beginnen einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, mit dem sie sich tanzend durch den Raum bewegen.

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