Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das sind Werte, für die es sich zu kämpfen lohnt. Nur wie weit darf man dafür gehen? Und welche Konsequenzen hat es, wenn Grenzen überschritten und Menschen getötet worden sind? Zu Kathrin Mayrs Inszenierung von „Dantons Tod“ am Ernst Deutsch Theater.

Die Kritik
Dunkle Töne signalisieren den Untergang. Vor den Vorhang treten nacheinander sechs Gestalten. Sie sehen aus wie kaputte Puppen mit ihren zerzausten Perücken, den ans Rokoko erinnernden Fantasiekostümen und den weißen Gesichtern, in die Blessuren geschminkt sind. Sie zitieren aus Georg Büchners Brief „An die Braut“, dem sogenannten Fatalismusbrief. Von der „entsetzlichen Gleichheit“ in der Natur des Menschen ist da die Rede. Von der Frage. „Was ist das, was in uns lügt, mordet und stiehlt?“ Erst dann beginnt das eigentliche Drama um „Dantons Tod“.
Die Eröffnung der neuen Intendanz unter Ayla Yeginer und Daniel Schütter am Ernst Deutsch Theater übernimmt Kathrin Mayrs Inszenierung von Büchners Revolutionsdrama.
Büchner hatte sich schon 1833 als Student politisch engagiert. Seine aufrührerische Flugschrift „Der Hessische Landbote“, mit der er gegen die Feudalherren agitierte, wurde jedoch ausgerechnet von denen verraten, die er unterstützte. Von der Polizei verfolgt, schrieb er im Versteck in nur sechs Wochen „Dantons Tod“, ein Stück voller Wut und Verzweiflung über das Scheitern der Revolution. Kein leichter Stoff, zumal der Drei-Akter weitgehend handlungsarm ist. Seine Wucht bekommt er durch die Rededuelle der beiden Kontrahenten Danton und Robespierre sowie durch deren jeweiligen Gedanken. Mayr hat das Stück auf zweieinhalb Stunden inklusive Pause eingedampft. Der Text steht nach wie vor im Vordergrund, aber es lohnt sich, ihm genau zuzuhören. Was macht es mit einem Menschen, wenn er seine Ideale mit Gewalt durchsetzt? Wenn das alles mit dem ersten Töten beginnt und sich zu einem Blutrausch entwickelt?
„Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“
Danton (Anatol Käbisch) zieht sich zurück ins Private, setzt jetzt Genuss an oberste Stelle. Er vergnügt sich nicht nur mit seiner Frau Julie, sondern auch mit der Prostituierten Marion (beide gespielt von K). Das Zielgerichtete der Revolution ist ihm verloren gegangen. Der eben noch aufrechte Gang zu der abbrechenden und neu einsetzenden Musik (Clemens Mägde) wird zu einer Drehung auf dem Boden, ein Bild für Dantons orientierungslose Gleichgültigkeit, seinen Überdruss, seine Langeweile. Er will nicht mehr kämpfen, sieht keine Möglichkeit mehr, das Ruder herumzureißen und stellt fest: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“
Mayr und Ausstatterin Hannah Petersen haben diesen Gedanken beim Wort genommen. Nicht nur die Figuren sind wie Puppen gestaltet, auch die tief rote, die Idee der Guillotine aufgreifende Bühne ist ein Theater im Theater im Theater mit immer weiteren Rahmen, Schabracken und Vorhängen. Die Revolutionäre sind nicht mehr Herr ihres Handels. Das, „was in uns lügt, mordet, stiehlt“ ist stärker als die Vernunft. Danton gibt auf, wählt den Weg des haltlosen Genusses. Robespierre, bei Stefan Schießleder zunächst ein knochentrockener Verteidiger der Tugend, hadert in stillen Momenten mit sich und „weiß nicht, was in mir das andere belügt.“ Die Bezeichnung „Blutmessias“, wie Dantons Freund Camille (treu ergeben, aber voller Todesangst: Nina Carolin) ihn nennt, macht er sich zu eigen, bricht jedoch zusammen, als er erkennt, dass er ganz alleine ist. Mit demagogischen Reden versucht er, das Volk zu überzeugen. Das kann aber, wie Ines Nieri (u.a. auch als Camille Frau Lucile ) großartig zeigt, nur mühsam seinen Gedanken folgen. Einen Getreuen hat er in dem noch radikaleren, eiskalten St. Just (Aaron Brömmelhaup). Mit ihm zusammen gelingt es ihm, Danton und Camille vors Tribunal zu bringen.
Gut möglich, dass man diesen Abend anstrengend findet. Es gibt nun mal viel Text und zum Verständnis hätte sicher auch beigetragen, wenn die Figuren beim Rollenwechsel eine deutlich andere Haltung oder ein anderes Kostümteil gezeigt hätten. So war nicht immer klar, wann wer welche Person darstellt. Dennoch: Der Abend macht klar, wie relevant Büchners Gedanken gerade heute wieder sind. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören.
Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/dantons-tod-433
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Wege zur Durchsetzung einer neuen Gesellschaftsordnung
- Fatalismus
- Radikalität
- Die dem Menschen innewohnende Grausamkeit
Formale SchwerpunKte
- Ausstattung der Spieler:innen als Puppen
- Darstellung des Spielorts als Theaterbühne
- Einsatz von Musik/Sound zur Steigerung der Spannung
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 16/17 Jahre, ab Klasse 12
- Empfohlen für den Deutsch-, Geschichts- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Frankreich 1794. Die Revolution, angeführt von Danton und Robespierre, hat ihren Höhepunkt erreicht, der König und die Aristokratie sind gestürzt, die Guillotine leistet ganze Arbeit. Für das Volk hat sich jedoch nichts gebessert. Noch immer leidet es unter Armut und Hunger. Angewidert von dieser Situation zieht sich Danton aus der aktiven Politik zurück. Seine Idee, das Blutvergießen zu beenden und schnell eine bürgerlich liberale Republik zu installieren, stößt bei Robespierre auf Widerstand. Mit seiner Partei, den Jakobinern, ist er entschlossen, die Revolution gnadenlos weiterzutreiben. In seinem einstigen Weggefährten Danton sieht er einen Verräter. Gemeinsam mit dem nicht minder radikalen St. Just setzt Robespierre alles daran, Danton und seine Unterstützer vor das Tribunal und letztlich auf die Guillotine zu bringen.
Mögliche Vorbereitungen
Recherche zu:
- Georg Büchner: Leben, Menschenbild, politische Einstellung
- Georg Büchner: Dantons Tod (Lektüre oder genaue Inhaltsangabe)
- Georg Büchner: Brief „An die Braut“ (der sog. Fatalismusbrief)
- Französische Revolution (1789 – 1799), insbesondere zu „Le Terreur“, der Schreckensherrschaft
- Friedliche Revolution 1989 in Ostdeutschland
Im Unterrichtsgespräch:
Ist Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele tolerierbar?
Speziell für den Theaterunterricht
Formationen und Haltungen
Die Spielleitung teilt den Kurs in die Gruppen A und B, die im Wechsel einander zuschauen.
A geht zu einer Musik durch den Raum, wenn die Musik stoppt, gibt die Spielleitung folgende Anweisungen, nach denen jeweils wieder ein Raumlauf folgt:
- Verteilt euch im Raum, schlagt die Hände vors Gesicht, krümmt den Rücken.
- Bildet einen Pulk, hebt die linke Faust, Blick ins Publikum
- Bildet eine Reihe, stellt euch aufrecht hin, hebt den Kopf, Blick ins Publikum
- Bildet eine Reihe, Rücken zum Publikum
- Bildet ein V (vorne eine Person an der Spitze, die anderen rechts und links versetzt nach außen), Blick ins Publikum
- Verteilt euch im Raum, nehmt eine bequeme Stellung ein.
Wechsel
Besprechung: Was habt ihr gesehen? Welche Bilder entstehen für euch bei den einzelnen Formationen bzw Haltungen?
Gestaltung einer Szene
- Bildet Dreier-Gruppen und gestaltet die nachfolgende Szene zwischen Danton und Robespierre (Paris, ein Freund Dantons, hat in diesem Auszug keinen Text, ihr dürft ihn als stummen Beobachter einsetzen).
- Bildet zunächst für jeden Dialogteil ein oder zwei Standbilder, die genau die Haltung des jeweiligen Sprechers darstellen.
- Kürzt den Text so, dass das für euch Notwendige deutlich wird.
- Gestaltet dann die Szene, indem ihr die Haltung aus den Standbildern übernehmt.
Text:
Sechste Szene
Ein Zimmer
Robespierre. Danton. Paris
Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind – seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.
Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.
Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. – Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?
Robespierre. Mein Gewissen ist rein.
Aus: https://www.projekt-gutenberg.org/buechner/danton/chap002.html