Wi sünd de Ne’en – Wohngemeinschaften

Die einen wollen die alten Zeiten zurück, die anderen müssen sich im harten Jetzt abarbeiten. Alt-68er und Studierende – in zwei unterschiedlichen WGs, aber in einem Haus. So eine Geschichte könnte in Klischees ersticken, kann aber auch wie in Nora Schumachers Inszenierung von „Wi sünd de Ne’en – Wohngemeinschaften“ am Ohnsorg-Theater zu einem sehr unterhaltsamen Abend mit Tiefe werden.

Schwierige Nachbarschaft zwischen 68ern (vorne v.li: Ole Schloßhauer, Birte Kretschmer, Konstantin Graudus) und Studierenden (hinten v. li:Nele Larsen, Flavio Kiener, Lara-Maria Michels) – Foto: Oliver Fantitsch

Die Kritik

„Ich bin Anne“. Sie wirkt gepflegt mit ihren grauen Haaren und der gelben Pumphose. Ist studierte Biologin, gehört also der gehobenen Mittelklasse an. Aber jetzt hat sie plötzlich keine Wohnung mehr. Der Vermieter hat ihr gekündigt, Eigenbedarf, so ist das nun mal. In einer Stadt wie Hamburg sind die Mieten so rasant gestiegen, dass sich Anne keine neue Wohnung mehr leisten kann. Warum also nicht wie früher in eine Wohngemeinschaft ziehen? Am besten mit den Mitstreitern von früher, war ja schließlich eine irre bewegte und lustige Zeit damals im Studium.

Das also ist die Ausgangslage. Birte Kretschmer als Anne skizziert sie kurz und auf Hochdeutsch zu Beginn von „Wi sünd de Ne’en – Wohngemeinschaften“. Nora Schumacher hat den 2014 mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichneten Film von Ralf Westhoff für das Ohnsorg-Theater bearbeitet und inszeniert, Kerstin Stölting hat die plattdeutsche Übersetzung besorgt. Tatsächlich hat Anne Glück. Ihre Kumpel von damals haben zwar noch ein paar Bedenken, willigen dann aber doch in das irgendwie spannende Projekt ein. „Wouldn’t it be nice“ von den Beach Boys erklingt dazu und lässt selige Erinnerungen wach werden. Wobei – alle haben natürlich ein Leben und damit Veränderungen hinter sich. Jede und jeder hat Eigenarten und Vorstellungen. Da ist Johannes mit seinem Parka, den er wie die Brille offenbar schon seit 35 Jahren trägt, ebenso seinen nunmehr ergrauten Zopf. Bei Ole Schloßhauer ist er ein peaciger Alt-Hippie, ein Netter, der immer noch gerne Mensch-ärgere-dich-nicht spielt. Und da ist Eddi, bei Konstantin Graudus ein beleibter Lebemann mit Neigung zu lautstarken Äußerungen. Zwischen ihnen versucht die eher vernunftgesteuerte Anne zu vermitteln, was ihr einiges abverlangt. Die Drei ziehen in eine Wohnung, über der eine Studenten-WG lebt oder besser: arbeitet. Denn die drei jungen Leute stehen vor Abschlussprüfungen und die müssen möglichst in der Regelstudienzeit absolviert werden. Zeit für ein lustiges Student:innenleben haben sie anders als Anne, Johannes und Eddi damals nicht. Katharina (streng und gestresst: Nele Larsen), Niklas (in der Arbeit und im Laptop versunken: Flavio Kiener) und Barbara (mit giftiger Freundlichkeit: Lara-Maria Wichels) sind von den lebensfrohen Rentnern wenig, nein eigentlich gar nicht begeistert. 

Zusammen mit ihrem fabelhaften Ensemble gelingt es Nora Schumacher, Nuancen zu zeigen und die Figuren bei aller Überspitzung ernst zu nehmen.

Mit beweglichen, an Holzpaneele erinnernden Elementen hat Ausstatterin Stephanie Kniesbeck zwei Ebenen geschaffen. Auf der erhöhten hinteren leben die jungen Leute, vorne weiter unten die älteren. Eine harmonische Nachbarschaft sieht allerdings anders aus: Genervt klopfen die Studierenden bei dem kleinsten Lärm von unten, angeblich können sie jedes Wort verstehen. Hinzu kommt, dass die Rentner:innen sehr gerne und lautstark feiern, wie damals eben. 

Klingt nach flachen Klischees, ist es aber in Nora Schumachers Inszenierung ganz und gar nicht. Zusammen mit ihrem fabelhaften Ensemble gelingt es ihr, Nuancen zu zeigen, die Figuren bei aller Überspitzung ernst zu nehmen und nicht zu verlachen. Ja, die Alten haben wohl tatsächlich Schuld daran, dass die Jungen in Regelstudienzeiten stecken und weniger Zeit zum Leben haben. Und Anne wird klar, dass die Idee mit der WG eher nostalgische als realistische Gründe hatte. Aber das Stück ist eine Komödie, und da endet eben alles gut. Kurioserweise sind es letztlich nicht die Jungen, die den Alten helfen, sondern es läuft genau umgekehrt. Die Expertise und Lebensklugheit von Anne, Johannes und Eddi ist es schließlich, die Katharina durchs Examen bringt, Niklas’ Rückenprobleme behebt und Barbaras Liebeskummer lindert.  

Ein mit einer Stunde, 50 Minuten (inkl. Pause) kurzer, aber überaus unterhaltsamer und absolut sehenswerter Abend. 

Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/wi-suend-de-neen-wohngemeinschaften/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Nostalgische Wiederbelebung alter Zeiten
  • Leben in einer Wohngemeinschaft nach 35 Jahren
  • 68er-Studierende vs Studierende 2025
  • Nachbarschaftsprobleme 
Formale SchwerpunKte
  • Realistische Spielweise
  • Songs aus den 60er und 70er Jahren als Zeitkolorit
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 9/10
  • Empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht 
Zum Inhalt

Anne, eine Biologin aus der Boomer-Generation, muss aus ihrer Wohnung ausziehen, weil der Vermieter Eigenbedarf geltend macht. Da sie sich in einer teuren Stadt wie Hamburg keine neue Wohnung leisten kann, überredet sie zwei alte Studienfreunde, mit ihr zusammen in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Über ihnen leben ebenfalls in einer WG drei von Zeitdruck und Abschlussprüfungen gestresste Studierende, die mit den Dreien von unten durchaus Probleme haben: Sie reden zu laut, hören zu laut Musik, gehen erst spät ins Bett. Während sich das Nachbarschaftsverhältnis immer schwieriger gestaltet und auch in der Senior:innen-WG nicht mehr alles rund läuft, werden bei den drei jungen Leuten Probleme deutlich wie Rückenschmerzen, Liebeskummer und Prüfungsangst. Sie bitten nun die untere WG um Hilfe, die ihnen tatsächlich auch gewährt wird. Beide Generationen kommen am Ende bestens miteinander aus. 

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu 

  • Studierende der Boomer-Generation (Wertvorstellungen, gesellschaftspolitisches Umfeld.)
  • Studierende 2025 (Wertvorstellungen, gesellschaftspolitisches Umfeld)
  • Komödie (Aufbau, Figuren)

 

Speziell für den Theaterunterricht
Standbilder zu Begriffen bauen

Die Gruppe befindet sich im Raumlauf möglichst zu Musik. Wenn die Spielleitung die Musik anhält und einen Begriff nennt, erstellen vier – fünf Personen ein Standbild, das erst aufgelöst wird, wenn die Musik wieder einsetzt. (Zwei nach jedem Bild wechselnde Zuschauer:innen, die durch Einklatschen die folgenden bestimmen).

Begriffe: Familie, Studium, Lebensfreude, Stress, Streit, Generationskonflikt u.ä.

Besprechen der Wirkung

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