… is back! 35 Jahre nach dem spektakulären Erfolg der Uraufführung am Thalia Theater wagte sich in Hamburg niemand so recht an eine neue Inszenierung. Zu groß waren die Schuhe, die das Team RobertWilson/Tom Waits/ William S. Burroughs hinterlassen hatten. Bis Regisseur Georg Münzel jetzt am Altonaer Theater mit Respekt, einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein und einem musikalisch wie spielerisch versierten Ensemble „The Black Rider“ am Altonaer Theater in Szene gesetzt hat. Die Begeisterungsstürme am Premierenabend ähnelten beinahe denen am Thalia Theater.

Die Kritik
Eine Wand mit jeder Art von Teddybären, eingefasst in knalligem Pink, davor Trauben von Luftballons, aus denen Mickymäuse und Hasen grinsen. Sabine Kohlstedt und Yvonne Marcour (auch für die Kostüme verantwortlich) haben eine quietschbunte Los- oder Schießbude auf die Bühne gezaubert. Die Jahrmarkt-Atmosphäre am Altonaer Theater verstärken Schauspieler:innen, die durch die Reihen gehen und das Publikum wie Marktschreier schon beim Einnehmen der Plätze begrüßen. Damit ist klar: Dieser „Black Rider“ macht gar nicht erst den Versuch, sich an die kühle Ästhetik von Robert Wilsons Inszenierung anzulehnen. Vielmehr positioniert sich diese Inszenierung auf der anderen Seite der Richterskala: bunt, deftig und krachend. Statt streng choreografierten Kunstgestalten sehen wir quicklebendige Figuren aus Fleisch und Blut, die lachen, weinen und singen wie im echten Leben.
Die Schauspieler:innen spielen auch gleichzeitig die Musik von Tom Waits.
Statt Formalismus also Realismus – ein so mutiger wie kluger Schachzug von Regisseur Münzel, der ganz wunderbar aufgeht. Nicht minder geschickt – und dem Budget des Theaters gehorchend – ist es, die Schauspieler:innen auch gleichzeitig die Musik von Tom Waits spielen zu lassen, denn laut Vorgabe braucht es eine Live-Band für diese Produktion. So stehen links in die Schießbude integriert die mit buntem Lametta verzierten Instrumente, unten die imposante Marimba des musikalischen Leiters Emil Schuler, der wie selbstverständlich die Rolle des Herzogs und des Wilderers übernimmt, ganz oben das von Jascha Schütz bediente Keyboard. Schütz spielt den PegLeg, den Hinkefuß, der als aasig-charismatischer Teufel das Geschehen dirigiert. Und der das Publikum schon mit seinem ersten Auftritt in der Hand hat. Mit einem Purzelbaum schießt er durch die Teddy-Wand auf die Bühne. Mit seinem „Come on along with the Black Rider“, diesem nicht umzubringenden Eröffnungssong, animiert er das Publikum sofort zum Mitklatschen. Sein PegLeg ist ein wahrer Teufelskerl. Der tobt über die Bühne, schiebt eine pinkfarbene Kammer für Passbilder vor sich her (vielleicht eine Reminiszenz an die Wilson’sche Black Box), in der auch hier Figuren verschwinden, und wird innerhalb von Sekunden ein Stotterer, ein Mümmelgreis, ein Drogendealer, der dem armen Wilhelm (Noëlle Ruoss) die notwendigen Kugeln für dessen Erfolg gibt bzw. ins Gewehr spuckt.
Dieser „Black Rider“ muss sich vor dem Original von 1990 nicht verstecken.
Die Geschichte ist an Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ angelehnt. William S. Burroughs, der 1997 verstorbene amerikanische Schriftsteller und Ikone der Beat-Generation, erzählt im „The Black Rider“, dem „Casting of the Magic Bullets“, von Wilhelms unseligen Pakt mit dem Teufel. Wilhelm will Käthchen (Farina Adisa Kaiser) heiraten, dafür aber muss er sich als Schütze beweisen. Da Wilhelm eher ein Schreibtischtäter als ein Jäger ist, braucht er Hilfe und findet sie beim PegLeg, der ihm nicht nur die Kunst des Schießens beibringt, sondern ihm auch „Magic Bullets“ verabreicht. Noëlle Ruoss überzeugt als ungelenker Schütze und später total verzweifelter Wilhelm, ebenso Farina Adisa Kaiser als neugieriges, selbstbewusstes Käthchen. Ihre Singstimme ist an manchen Stellen schon fast zu schön für die rumpeligen Songs von Tom Waits. Sie passen sich übrigens großartig in das Jahrmarkt-Setting ein und werden von den insgesamt zehn Darsteller:innen/Musiker:innen/Sänger:innen mitreißend interpretiert.
Dieser „Black Rider“ muss sich hinter dem Original von 1990 nicht verstecken. Er fegt in knapp zwei Stunden inklusive Pause über die Bühne und eines ist schon mal klar: Wer ihn sieht, hat auf jeden Fall „a gay ol’ time“!
Weitere Informationen unter: https://www.altonaer-theater.de/programm/the-black-rider/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Ausgleichen einer Schwäche durch Pakt mit dem Teufel
- Fatale Wirkung des Teufelspakts
Formale SchwerpunKte
- Realismus statt Formalismus
- Musiktheater
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
- Besonders empfohlen für Musik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Käthchen, die Tochter von Bertram und Anne, soll einen anständigen Schützen heiraten. Einen wie den schneidigen Robert zum Beispiel. Aber sie liebt Wilhelm, der lieber schreibt und Bücher liest. Damit Wilhelm die Eltern überzeugen kann, muss er schießen lernen, erweist sich aber leider als hoffnungslos unbegabt. Erst als er sich mit PegLeg, dem Teufel, einlässt, hat er Erfolg. Am Tag der Hochzeit solle er noch einmal einen finalen Schuss abgeben, aber PegLeg dirigiert die Kugel – und Wilhelm erschießt Käthchen.
Mögliche Vorbereitungen
Recherche zu
- Robert Wilson und seinem „formal theatre“ (eine Dokumentation zu Robert Wilson findet sich noch in der ARD-Mediathek)
- Tom Waits
- William S. Burroughs
- zur Originalfassung am Thalia Theater (ein Video-Aufnahme ist auf YouTube abrufbar)
- zur Geschichte von „Der Freischütz“ von Car Maria von Weber