Ringel Rangel Rosen – Vörbi is man nich vörbi

Wenn auf einmal nichts ist, wie es einmal war – Kirsten Boies Roman als berührende Uraufführung im Ohnsorg Studio.

Da war Karin (2. v. r.: Sofie Junker) noch im Paradies – Foto: Sinje Hasheider

Die Kritik

„Hier ist das Paradies“, strahlt die 13jährige Karin (Sofie Junker) und tatsächlich: Der knorrige Baum voller Früchte, die bunten Tiere und der blaue Himmel auf dem riesigen Prospekt im Ohnsorg-Studio (Bühne: Katharina Philipp) erinnern an ein Paradies, wie es in Kinderbilderbüchern dargestellt wird. Dann korrigiert sich Karin: „Nein, hier war das Paradies“, sagt sie und ergänzt, dass ja Geschichten immer vom Anfang an erzählt werden müssen.

Mit nur vier Darsteller*innen hat Kathrin Mayr auf der kleinen Bühne des Ohnsorg-Studios Kirsten Boies Roman „Ringel Rangel Rosen“ inszeniert. Es ist die Uraufführung einer Bühnenfassung von Anke Kell mit hochdeutschen und plattdeutschen Anteilen (Plattdeutsch: Cornelia Ehlers) und dem Zusatz  „Vörbi is man nich vörbi“. Denn um die Frage, ob etwas für immer vorbei sein oder eben doch ewig nachwirken kann, geht es in dieser frischen und durch und durch anrührenden 80minütigen Inszenierung.

Die Eltern geben keine Antwort.

Sofie Junkers Karin mit ihren Zöpfen und ihrer Fröhlichkeit wirkt keinen Tag älter als dreizehn. Sie hat Lust auf die Sommerferien in ihrem Paradies, der Behelfsheimsiedlung hinterm Deich in Wilhelmsburg, wo es noch Natur und nicht so viel Stadtlärm gibt. Eher lästig sind ihr die Angebote ihrer Freundin Regina. Tanja Bahmani zeigt sie als zwar kicherndes, aber eigentlich sehr nachdenkliches Mädchen, das lieber Bücher liest als schwimmen zu gehen und das mit dem Buch „Sternenkinder“ schon etwas über den NS-Verbrecher Adolf Eichmann weiß. Als Karin ihre Eltern danach fragt, bekommt sie keine Antworten. Ihre Mutter (Vivien Mahler) ist eine adrette Frau, die über die NS-Vergangenheit nur sagt, dass „nicht alles schlecht“ war und ansonsten von einer Judenverfolgung nichts gewusst haben will. Der Vater (Jochen Klüßendorf), der schon durch sein nettes Gitarrenspiel wieder eine heile Welt herbeizaubern will, schweigt sich ebenfalls aus und sieht lieber mit der Familie eine Folge der lustigen Serie Familie Hesselbach.

„Ich bin schon lange nicht mehr ich.“

Verschweigen und Verdrängen – das oberste Prinzip der Nachkriegsgesellschaft wird hier in einfacher, aber eindringlicher Form dargestellt. Die Flutkatastrophe zerstört nicht nur Karins Paradies als heilen (Kinder-)Ort, auch das Bild ihrer Eltern und Verwandten bekommt Risse. Während der Erzählungen und Szenen zur Sturmflut wird das Prospekt heruntergerissen und zu einem wüsten Haufen zusammengeknüllt. Dahinter gähnt eine schwarze Wand, vor der das Bühnenmobiliar (drei Stühle, ein Tisch) mickrig und verloren aussieht. Es ist vorbei mit dem Paradies. Karin ist älter geworden, ihre Zöpfe sind einem Pferdeschwanz gewichen und mit ihrer neuen Freundin Sigrun (ebenfalls Tanja Bahmani) malt sie sich sogar die Lippen an. „Ich bin schon lange nicht mehr ich“, entgegnete sie der Mutter, als die ihre Aufmachung kritisiert. Ausflüchte ihrer Eltern lässt sie nicht mehr gelten. Sie will endlich wissen, was mit den Soldaten in dem Fotoalbum los war und warum ein Foto herausgerissen worden ist. Junker hat das Kindliche ihrer Karin abgelegt und zeigt jetzt eine junge, selbstbewusste Frau. Nach und nach kann sie sich aus den Antworten der Eltern zusammenreimen, wie sie tatsächlich in der NS-Zeit gelebt und was sie gewusst und getan haben. „Man kann nie mehr vergessen, was man einmal weiß“, resümiert sie. Denn „vörbi is man nich vörbi“. 

https://www.ohnsorg.de/events/ringel-rangel-rosen/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Entdeckung von ungelösten Fragen und verdrängten Ereignissen
  • Konfrontation der Elterngeneration mit Fragen zur NS-Vergangenheit
  • Verlust der heilen (Kinder-)Welt
  • Erwachsenwerden
Formale Schwerpunkte
  • Reduktion des Figurenpersonals auf sechs Personen
  • Einfügen von Erzählpassagen in das laufende Spiel
  • Darstellung von Zeit- und Ortswechsel durch Umstellen von Tisch und Stühlen sowie Herabfallen des Prospekts
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 13 Jahre, ab Klasse 7
  • empfohlen für Geschichts-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Karin ist 13 Jahre alt und genießt die Sommerferien mit ihrer Freundin Regina. Die sogenannte Behelfsheimsiedlung in Wilhelmsburg empfindet sie als das Paradies, da sie von der Natur umgeben und die Stadt weit genug entfernt ist. In ihre kindliche Sorglosigkeit fallen erste Wermutstropfen, als Regina ihr von einem Buch mit dem Titel „Sternenkinder“erzählt, in dem von der Judenverfolgung im Dritten Reich und von dem dafür verantwortlichen Adolf Eichmann die Rede ist. Karin hat nie davon gehört und ihre Eltern weichen ihren Fragen aus. Es ist ja auch alles wieder prima Ende der 50er/ Anfang der 60er Jahre. Karins Eltern bekommen sogar einen Fernseher, vor dem man sich zur Sportschau oder zu der beliebten Serie Familie Hesselbach versammelt. Wenn allerdings in der Tagesschau vom Eichmann-Prozess die Rede ist, werden die Eltern merkwürdig still, wollen von dem, was passiert ist, nichts gewusst haben. 

In einer Februarnacht 1962 wird Hamburg von einer Sturmflut heimgesucht. Karins Elternhaus sowie die gesamte Siedlung stehen unter Wasser, Karin rettet sich mit ihrer Nenn-Oma Domischkat auf das Dach, während ihre Mutter nach dem kleinen Bruder sucht und der Vater noch auf der Werft arbeitet.    

Nach ihrer Rettung am folgenden Tag kommt die Familie provisorisch in einer Turnhalle unter. Karin findet in der Tasche ihrer Mutter ein Fotoalbum und entdeckt darin Bilder von Verwandten und Bekannten in Soldatenuniform. Mal lachen und feiern sie, mal sieht man sie mit Gewehren auf ein unsichtbares Ziel feuern. Karin will nicht länger im Ungewissen bleiben. Sie stellt ihren Eltern ganz gezielte Fragen und muss erkennen, dass eine Zeit wie die unter den Nazis eben nicht einfach vorbei ist, sondern für immer Spuren im Leben der Menschen hinterlässt.

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate, als vorbereitende Hausaufgabe oder in Gruppenarbeit:

  • Adolf Eichmann und seine Rolle innerhalb des NS-Regimes
  • Die Judenverfolgung im Dritten Reich
  • Der Umgang mit ehemaligen NSdAP-Mitgliedern in der neuen Bundesrepublik. Was bedeutete der Persilschein?
  • Die Flutkatastrophe vom 16./17. Februar 1962 in Hamburg und ihre Konsequenzen
  • Lektüre oder Inhaltsangabe zu Kirsten Boies Roman Ringel Rangel Rosen
Speziell für den Theaterunterricht: 
90 – 60 – 30

Die Spielleitung teilt Fünfer- oder Sechser-Gruppen ein und gibt jeder Gruppe eine schriftliche Inhaltsangabe des Romans.  Jede Gruppe bildet einen Kreis und benennt eine Person, die die Zeit stoppt und eine, die in ihrer Mitte den Kreis abschreitet, während ein Gruppenmitglied die Inhaltsangabe vorliest. Danach hat die Person in der Mitte 90 Sekunden Zeit, den Inhalt nachzuerzählen. Gleich danach muss eine andere Person den Inhalt in nur 60 Sekunden wiedergeben, zuletzt eine dritte Person in 30 Sekunden.

Diese letzte Version wird stichwortartig von der Gruppe festgehalten.

Im Anschluss versucht jede Gruppe aus den Stichworten eine Standbild-Serie zu erarbeiten. Der Übergang von einem zum nächsten Standbild sollte fließend sein (als wenn man auf „Play“ drückt).

Keine Antworten

Die Spielleitung teilt Gruppen in beliebiger Größe ein. 

Aufgabe: Erstellt mindestens vier Versionen, in denen eine Person folgende Fragen stellt: Was habt ihr getan? Was habt ihr damals gesehen? 

Der Rest der Gruppe verweigert die Antworten. 

  • Achtet dabei auf eine genaue Körpersprache.
  • Verwendet Formationen (Reihe, Kreis, Halbkreis o.ä.)
  • Die nicht antwortende Gruppe darf nur in einer Version etwas sagen