One Song – Histoire(s) du Théâtre IV

Schneller, immer noch schneller bis zum Umfallen – und dann nochmal von vorne. Wieder und wieder. Zur schweißtreibenden Performance von Miet Warlop/Irene Wool/ NTGent beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.

Foto: Michiel Devijver

Die Kritik

Die Stadionsprecherin im orangenen Overall ist schon da. Sitzt mit einem dritten Extrabein ganz oben auf dem Podest und spricht unverständliche, aber durchaus dirigierende Anweisungen durchs Megaphon (Bühne, Kostüme, Konzept: Miet Warlop), während das Publikum Platz nimmt in der ausverkauften Halle K1 auf Kampnagel. Fans mit Schals von Fantasie-Vereinen trollen sich auf das Podium, dann laufen die Cheerleaderin und die Sportler*innen ein. Aber eigentlich sind es Musiker*innen, nur eben sehr sportliche. In den kommenden 60 Minuten werden sie beinahe ununterbrochen spielen: an einer Sprossenwand mit Hilfe eines Sprungbretts eine Trommel und ein Keyboard bedienen, auf einer Matte liegend mit Situps den Kontrabass zupfen, auf drei weit auseinander stehenden Schlagzeugen trommeln und auf einem Laufband unermüdlich laufen und dabei diesen einen extra für die Performance von Maarten Van Cauwenberghe komponierten Song singen. „One Song“ – Immer wieder von vorne, meist in der Vorwärtsbewegung, kurzfristig auch mit Blick zu den hinten sitzenden Fans, also gegen die Laufrichtung. Das Metronom am Bühnenrand bestimmt den Takt. Die Fans sind zwar nur zu fünft, wirken aber durch die einheitliche Choreografie wie ein gewaltiger Block, der anfeuert, jubelt, schimpft. Ruhepol in dieser Wahnsinnsspirale ist eine Geigerin. Hochkonzentriert mit exakten Turnbewegungen spielt sie auf einem Schwebebalken.

Die belgische bildende Künstlerin Miet Warlop hat die Performance „One Song“ am Stadttheater NTGent entwickelt. Im letzten Sommer wurde sie beim Festival d’Avignon openair im Innenhof einer Schule uraufgeführt und sofort begeistert gefeiert. Für die Ohren des Publikums ein etwas angenehmerer Ort als die relativ kleine K1, die bei dieser Energiegewalt und Lautstärke fast zu platzen scheint. Menschen mit empfindlichen Gehör, die vielleicht auch die dargereichten Ohrstöpsel übersehen, kommen durchaus an ihre Grenzen. Aber genau darum geht es ja auch an diesem großartigen Abend. Er ist eine Allegorie auf das Leben, auf das stete Getriebensein, das oftmals mit Freude und gegenseitigem Energiefluss, aber auch mit Fremdbestimmung zu tun hat. 

Manchmal rollt der Mann am Bass zum Metronom und nimmt das Tempo raus. Dann klingt der Song wie v-i-e-l zu l-a-n-g-s-a-m abgespielt, die Spieler*innen bewegen sich in Zeitlupe. Aber wenig später zieht das Tempo wieder an, die Raserei geht weiter. Und als der Schlagzeuger nicht mehr kann, springt die Geigerin vom Schwebebalken und übernimmt. „Run for your life/ `till you die/ `till i die/ `till we all die“, singt der Sänger. Und singt und läuft und singt und läuft, bis alle, inklusive Fans erschöpft am Boden liegen. 

Weitere Informationen zum Sommerfestival unter: https://kampnagel.de/reihen/internationales-sommerfestival-2023