Wenn man als Fremder niemals ankommt. Zum berührenden Abend von Yasmine Yahiatene beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.
Die Kritik
Yasmine Yahiatene malt mit weißem Stift ein Fußballfeld auf den Bühnenboden der P3 auf Kampnagel. Sehr sorgfältig macht sie das. „France“ steht auf der einen, „Algérie“ auf der anderen Seite. Beide Länder spielen nicht gegeneinander, jedenfalls nicht bei der WM 1998. Aber es sind zwei Länder, die ihr Leben prägen. Sie stehen gegeneinander, reißen an ihr und wollen sich zu keiner Harmonie verbinden. Mit Hilfe von Videokassetten erzählt die 33jährige Künstlerin von den Brüchen, weißen Flecken und Lücken ihrer postmigrantischen Biografie und schafft einen wunderbar zarten und berührenden Abend.
Am Anfang steht das Endspiel bei der WM 1998 zwischen Frankreich und Brasilien. Yasmine fiebert mit, verfolgt die letzten Minuten des Spiels auf der Leinwand. Sie hat sich ein Fußballshirt mit der Nummer 10 übergezogen, darüber steht der Name Zidane. Der französische Superstar ist ihr Held, er hatte seine Mannschaft mit einem Kopfball in Führung geschossen – und tatsächlich gewinnt Frankreich 3:0 und wird Weltmeister. Yasmine Yahiatene jubelt, singt begeistert die Nationalhymne mit, identifiziert sich in diesem Moment vollkommen mit Frankreich. Ja, Zidane ist doch einer von ihnen. Zwischen seiner und der Geschichte ihres Vaters sieht sie Parallelen. Beide sind 1961 im Algerien geboren, beide fliehen während des Krieges nach Südfrankreich, Zidane in die Nähe von Marseille, Yasmines Vater und seine Familie nach Montpellier. Und damit auch schon enden die Gemeinsamkeiten. Grobkörnige Filmaufnahmen aus den Jahren 1990 bis 2002 zeigen Yasmine als Kind mit Mutter, Großmutter und dem Vater. Der hatte weniger Glück als Zidane. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und überhaupt eine Akzeptanz in Frankreich hatte sich nicht erfüllt. Er beginnt zu trinken, sein Alkoholismus prägt die Familie. Yasmine Yahiatene malt sein Gesicht in den Anstoßkreis des Fußballfeldes, die Kamera projiziert es an die Wand, mischt es mit dem der Künstlerin, spielt Aufnahmen des weinenden Zidanes ein. Ihre Wut auf den Vater, der nie mit ihr arabisch gesprochen und ihr dadurch einen Teil von ihr vorenthalten hat, wechselt mit Zärtlichkeit und Verständnis. Der Abend endet mit einem Versprechen: 2024 wird sie nach Algerien fahren. Vielleicht lassen sich Brüche heilen.
Weitere Informationen zum Internationalen Sommerfestival unter:https://kampnagel.de/internationales-sommerfestival