Frankenstein

Frankenstein ist nicht der Name des Monsters. Frankenstein heißt sein verschollener Schöpfer. Seine Briefe inspirieren die Mannschaft eines Expeditionsschiffes zu gruseligen Geschichten. Wenn sie aber nur erzählt werden wie in Johanna Louise Witts Theaterfassung und Inszenierung von „Frankenstein – Die weiße Finsternis“ am Ernst Deutsch Theater, ist leider gar nichts mehr gruselig oder spannend. 

Die Mannschaft auf dem Expeditionsschiff (Ensemble) – Foto: Sinje Hasheider

Die Kritik

Zu sehen ist erste einmal: Nichts. Ein Sirren, Knacken und Knarren ist zu hören, dann hebt sich langsam der Eiserne Vorhang im Ernst Deutsch Theater. Fünf in Stiefel, dicke Jacken und Mützen gekleidete Figuren mit Schutzbrillen (Kostüme: Amelie Müller) stieren ins Publikum oder versuchen durch den Spalt in den Bretterwänden (Bühne: Antonia Kamp) einen Blick nach draußen zu erhaschen. Dort gibt es vielleicht irgendeine Möglichkeit zur Weiterfahrt mit diesem Expeditionsschiff, das eingeschlossen ist von Eis, im „undurchdringbaren Weiß“. Sie schniefen, schlagen wegen der Kälte die Arme um den Körper, und es dauert eine kleine Ewigkeit, bis jemand das Wort ergreift und feststellt: „Wie langsam doch die Zeit vergeht“.

Alle starren und warten darauf, dass etwas passiert.

Einen beeindruckenden, Spannung schürenden Einstieg hat die junge Regisseurin Johanna Louise Witt für ihre Inszenierung von „Frankenstein“ geschaffen. Das fünfköpfige Ensemble mit Sheila Bluhm, Nayana Heuer, Rune Jürgensen, Isabella Vértes-Schütter und Oliver Warsitz ist als Schiffsmannschaft eine Einheit. Niemand bekommt eine individuelle Rolle zugewiesen, alle starren und warten darauf, dass etwas passiert. Und mit ihnen das Publikum. Denn Witt, die zusammen mit Natalja Starosta auch die Textfassung nach dem Roman von Mary Shelley geschrieben hat, lässt die Schauspieler:innen kaum spielen, sondern vor allem erzählen. Das verwundert insofern, als Witt am Thalia Theater bei Antú Romero Nunes, Ersan Montag oder Luke Perceval sicher bei anderen Inszenierungsstilen assistiert hat.  Zunächst sind es Beschreibungen eigener Empfindungen und Wahrnehmungen im ewigen Eis, bis schließlich etwas Merkwürdiges entdeckt und – hier kommt tatsächlich so etwas wie Spannung auf – eine Luke aufgestoßen und ein in Plastikfolie verschnürtes Bündel in der Größe eines Menschen an Bord gehievt wird. Einzelne, anschwellende Töne (Musik: Chris Lüers, Lennart Clément) unterstreichen diesen Moment. 

In dem Bündel befinden sich jedoch keine menschlichen Überreste, sondern Hefte des Wissenschaftlers Viktor Frankenstein. Darin beschreibt er die Erschaffung eines künstlichen Wesens. In der Mannschaft startet ein Kopfkino. Die einzelnen Mitglieder befeuern sich gegenseitig mit ihren unheimlichen Geschichten, mit dem, was hätte sein können. Die Idee dazu hat Charme, läuft sich aber sehr bald tot. Jedes Mannschaftsmitglied erzählt, manchmal wird auch im Chor gesprochen. Kurze, durch Blacks getrennte Standbilder oder Formationen müssen als Spiel herhalten, die Übergänge zwischen den Ebenen (Expedition, Vorstellungen von Frankenstein) geraten nicht immer logisch. So zieht sich der zweistündige Abend (inklusive Pause) leider recht zäh und ohne wirklichen Erkenntnisgewinn dahin.  „Es wurde viel zu viel erzählt“, lautete das enttäuschte Resümee einer gut vorbereiteten Schulklasse – und gerade diese Zuschauer:innen sollte man doch lieber begeistern als langweilen.

Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/frankenstein-die-weisse-finsternis-434

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert