Blue Skies

T.C. Boyles jüngster Roman „Blue Skies“ ist eine bitterböse Satire auf unseren Umgang mit dem Klimawandel. Ein hochaktuelles Thema also und vielleicht sogar möglich als Vorlage für eine Bühnenbearbeitung – wenn man dazu eine Idee entwickelt. Die vermisst man bei Jan Bosses Uraufführung im Thalia Theater jedoch schmerzlich.

Der Klimakatastrophe so nah. Schauspieler Merlin Sandmeyer (Mitte) singt den Jazzstandard „Blue Skies“. – Foto: Armin Smailovic

Die Kritik

Halbrund und bis hoch zum Schnürboden erstreckt sich die Leinwand. In schnellem Wechsel sind dort Menschen in Schutzanzügen, Schneelandschaften, Wüstenstürme oder Regenfluten zu sehen (Video: Meike Dresenkamp). Davor die Drehbühne (Stéphane Laimé) mit einem raumgreifenden Felsen in der Mitte, auf dem die vierköpfige Live-Band (Jonas Landerschier, Leo Schmidthals, Matthias Strzoda, Taco van Hettinga) verteilt ist. Sie begleitet den Schauspieler Merlin Sandmeyer, der mit rauer Stimme den Jazzstandard „Blue Skies“ singt und damit den Abend vielversprechend einleitet. „Blue Skies“ ist auch der Titel des jüngsten Romans von T.C. Boyle. Satirisch und bitterböse nimmt er den Umgang mit der Natur und die Klimakatastrophe unter die Lupe. Dessen Uraufführung hat Regisseur Jan Bosse – zusammen mit Dramaturgin Christina Bellingen auch verantwortlich für die Bühnenfassung – am Thalia Theater übernommen und ist leider krachend gescheitert. Bosse setzt keinen Fokus, zerfranst sich in dem mehr als dreistündigen Abend in Belanglosigkeiten und überflüssigen Szenen, die nichts zum Fortgang der Handlung, geschweige denn zu deren Vertiefung beitragen, und verwässert die Romanvorlage zu einer nach Lachern schielenden Unterhaltungsshow. 

Es gibt die von Sandmeyer und später von Christiane von Poelnitz großartig vorgetragenen Songs – aber wozu dienen sie?

Anhand einer Familie beleuchtet Boyle die Frage nach dem Umgang mit der Umwelt. Auf der einen Seite gibt es die Influencerin Cat (in Bosses Inszenierung gespielt von Pauline Rénevier), die ihre Karriere mit einer Tigerpython als Accessoire befeuern will. Auf der anderen ist da ihre Mutter Ottilie (gespielt von Christiane von Poelnitz), die sich aus Verantwortung für das Klima nur noch von selbst gezüchteten Insekten (die meisten Insekten sind ausgestorben) und Mehlwürmern ernährt. Beide greifen in die Natur ein, bemächtigen sich ihrer und werden im Fall von Cat durch sie auf das Fürchterlichste bestraft. Während alle anderen wie Cats zukünftiger Mann Todd oder Ottilies Mann Frank irgendwie ohne eigene Meinung mitlaufen, findet sich in Franks und Ottilies Sohn Cooper jemand, der tatsächlich erkennt, wohin die Welt driftet. 

Bosse scheint jedoch zu alledem keine rechte Idee entwickelt zu haben. Da gibt es die von Sandmeyer und später von Christiane von Poelnitz großartig vorgetragenen Songs – aber wozu dienen sie? Da werden zwei endlos erscheinende Szenen im Flugzeug und bei einer Autofahrt (Ottilie fährt zu Cats Entbindung) von Sandmeyer und von Poelnitz zum Teil pantomimisch dargestellt. Gut gemacht, aber sie erzählen rein gar nichts. Und dann sind da die Ausstattungen von Cats Verlobtem Todd, einem Markenbotschafter, (Steffen Siegmund) oder von Ottilies Mann Frank (Bernd Grawert) mit absurden Frisuren und hässlichen Cowboy-Hemden (Kostüme: Kathrin Plath). Auch hier fragt man sich, welcher Gedanke dahinter stecken mag, außer dass hier Figuren bloßgestellt werden sollen.

Der Roman überzeichnet einige Figuren.

Der Inszenierung fehlt es an Klarheit und Zugriff. Das lässt sich schon daran erkennen, dass die wegen des mittigen Felsens an den Bühnenrand gedrängte Spielfläche möglichst alle im Roman vorkommenden Orte (Bar, Appartement, Landhaus, Klinik, Natur, Tierhandlung) darstellen soll, was zu einem ständigen Geräume und Geschiebe seitens der Schauspielenden führt. Nötig ist das nicht. Denn im Grunde geht es in Boyles Roman nur um zwei Orte, an denen die Klimakatastrophe sichtbar wird: das von Hitze ausgedörrte Kalifornien mit Ottilie, Frank, Cooper und dessen wechselnden Freundinnen und das durch Regenfluten überschwemmte Florida mit Cat und Todd. Deren Umgang mit der Natur und die nachfolgende Katastrophe ist Boyles Thema. Dafür überzeichnet er einige Figuren wie die bewusst kochende Hippie-Frau Ottilie oder ihre durchgeknallte Tochter Cat. Sie sind die beiden Antagonisten, dazwischen steht Cooper. Als einziger erkennt er, wie irrsinnig das Gebaren von Schwester und Mutter ist und wie rasend schnell sich die Erde auf den Abgrund zu bewegt. Auf diese drei Figuren hätte sich die Inszenierung konzentrieren und ihnen die Schärfe  zugestehen können, die Boyle vorgegeben hat. Statt dessen bekommen Nebenfiguren ausführlichen Raum, die Familiengeschichte steht jetzt im Vordergrund, und wie deren Mitglieder zu agieren haben, lässt an mittelmäßige Vorabendserien denken. 

Cooper (Johannes Hegemann) sieht die Welt untergehen. – Foto: Armin Smailovic

Das Ensemble kann nichts dafür. Es liefert wie gewohnt professionelle gute Arbeit ab. Vor allem Merlin Sandmeyer bringt mit feiner Präzision RJ und Stoneman (beide an sich unbedeutende Nebenrollen) zum Flirren und macht sie zu spannenden Gestalten. Johannes Hegemann versucht als schlacksiger, lakonischer Cooper gegen den inszenierten Klamauk anzugehen: „Die Natur schlägt zurück!“, brüllt er, als sein Arm nach einem Zeckenbiss amputiert wird. „Das ist die Welt, die wir geschaffen haben!“ Sein Aufschrei geht jedoch unter, dafür singt Merlin Sandmeyer wunderschön (aber mit welcher Funktion?) Roy Orbison „In Dreams“, und Bernd Grawert muss zum Abschluss noch T.C. Boyles Entschuldigung für dessen Kritik an der Deutschen Bahn vortragen (warum, weiß nur der Regisseur allein). Was für ein ärgerlicher Abend!  

Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/blue-skies-2024

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche SchwerpunkTe
  • (eigentlich) der Umgang mit der Natur und die aufkommende Apokalypse
  • Familienstreitigkeiten
Formale SchwerpunKte
  • Videoeinspielungen
  • Einbettung von Songs
  • Erklärungen und Einführungen von Figuren an der Rampe
  • pantomimische Darstellungen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

Die mit 3 1/4 Stunden sehr lange Inszenierung empfiehlt sich nicht für Schulklassen

Zum Inhalt

In Kalifornien sterben die Insekten, die Hitze dörrt das Land aus. Ottilie versucht sich an einer eigenen Zucht von Insekten, die sie zubereitet, um ihren eigenen Proteinbedarf zu decken. Ihre Tochter Cat lebt in Florida als Influencerin. Um ihre Karriere zu befeuern, kauft sie sich eine Tigerpython, die sie sich wie eine Stola um die Schultern legen kann und die ihr sonst als Haustier dient. Ihr Bruder Cooper, der an der Universität zu Insekten forscht, wirft sowohl Mutter als auch Schwester ihr unangemessenes Verhalten vor, bleibt allerdings ungehört. Wie sehr die Natur sich am Menschen rächt, muss er selbst erfahren, als ihm aufgrund eines Zeckenbisses ein Arm amputiert werden muss. Auch Cat bleibt nicht verschont. Nachdem sie Zwillinge zur Welt gebracht hat und wieder ihrem Alkoholkonsum in der Bar gegenüber frönt, lässt sie die Schlange frei in ihrer Wohnung herumkriechen. Das hat zur Folge, dass diese eines ihrer Zwillingsmädchen erwürgt. Die Apokalypse findet auch außerhalb der Familie statt. Ottilie, die ihrer Tochter helfen will, gelangt schon kaum noch zu deren Haus, weil Florida mittlerweile in den Regengüssen unterzugehen droht. In Kalifornien aber entdeckt sie zusammen mit Cooper wieder ein paar Insekten und den längst verschwunden geglaubten Monarchfalter. Es scheint, als sei noch nicht alles verloren.

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