Gefährliche Liebschaften

Sebastian Hartmann hat am Hamburger Thalia Theater „Gefährliche Liebschaften“ inszeniert. Das Ensemble rennt, brüllt, knutscht und kämpft. Was genau Hartmann allerdings erzählen will, bleibt sein Geheimnis.

Wilde Knutschereien, hier Valmont (Marius Huth) mit einem Opfer. – Foto: Krafft Angerer

Die Kritik

Es beginnt poetisch. Hinten an der Brandmauer der leeren Bühne wird der Musiker Samuel Wiese mit seinem Keyboard in einen Lichtkegel getaucht.  Von links und rechts kommen Nebelschwaden angefaucht, lassen Wiese hinter einer hellen, wattegleichen Wolke verschwinden. Vorne an der Rampe hat Caroline Junghanns als Merteuil mit Blick zum Publikum Stellung bezogen. An der Seite sitzen aufgereiht Marius Huth als Valmont, Gina Haller als Tourvel, Lisa-Maria Sommerfeld als Cécile und Samuel Mikel als Danceny. Traversen voller französischer Flaggen hängen am Bühnenhimmel, im Laufe des Abends werden sie wellenweise auf und ab gefahren (Bühne: Sebastian Hartmann). Ein Hinweis darauf, dass „Gefährliche Liebschaften“ 1782 am Vorabend der Französischen Revolution veröffentlicht wurde. Auch die aufwändigen Kostüme (Adriana Braga Peretzki) mit Strumpfhosen in Ornamentenmuster unterstreichen den Zeitbezug. Allerdings wechseln die mit Fake-Tattoos geschmückten Figuren ihr Outfit auffallend häufig und das aus nicht erkennbarem Grund. Doch das ist nur eines der vielen Rätsel, die diese Produktion aufgibt.

„Gefährliche Liebschaften“ ist an sich kein Dramentext, sondern ein Briefroman von  Choderlos de Laclos. Der war eigentlich der Redenschreiber von Robespierre, einem der unbarmherzigsten Revolutionäre und Vater des „Terreur“ in Frankreich. Der Adel war der Feind, und de Laclos zeigt ihn in seinem Roman gelangweilt und ohne politische Macht. Macht versucht er zu erlangen, indem er mit Sex und Verführung andere manipuliert. Drahtzieher in diesem Spiel sind hier die einflussreiche Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont. Nur so zum Spaß und zur Befriedigung von Rachegelüsten schließen sie eine Wette ab: Valmont soll die verheiratete und tugendhafte Madame de Tourvel und  Merteuil die junge Cécile verführen. Empathie zählt nicht, Egoismus dagegen um so mehr. Die Folge davon ist, dass am Ende nicht nur die Verführten, sondern auch Merteuil und Valmont zugrunde gehen. 

Eine energische Dramaturgie sollte sich der Sache noch einmal annehmen.

Von dieser Geschichte ist auf der Bühne des Thalia Theaters eigentlich kaum oder besser nichts zu erkennen. Da die Grundlage aus Briefen besteht, sie also keine Handlung an sich vorsieht, mag Hartmann die Anweisung gegeben haben: „Macht es körperlich! Macht es dynamisch!“. Anders ist nicht zu begreifen, warum alle Darsteller:innen zu den zauberhaften Kompositionen von Samuel Wiese wie angestochen hin- und herrennen, hinfallen, miteinander kämpfen, wild herumknutschen, in neuem Kostüm wieder auftreten, ihren Text brüllen und völlig im Unklaren lassen, wer was mit wem warum eigentlich zu tun hat. Figuren wie Huths Valmont, Sommerfelds Cécile und Mikels Dancerny bleiben verblüffend eindimensional und ohne jegliche Nuance. Dass es auch anders geht, zeigt Junghanns als mal überlegte, mal verzweifelte Merteuil und vor allem Gina Haller als Tourvel. Ihr gelingen stille, anrührende Momente, in denen spürbar wird, wie sehr sie unter dem Konflikt zwischen Begehren und Tugend leidet.

Das Ensemble habe „jeden Abend die Freiheit, die erarbeiteten Szenen und Texte anders zusammenzusetzen“, weiß das Programmheft. Das „Beziehungsgeflecht aus Liebe und Macht, Begehren und Sehnsucht, Krieg und Tod“ könne sich „bei jeder Vorstellung neu entwickeln“. Alles gut und schön. Aber vielleicht sollte sich bei aller Spontaneität eine energische Dramaturgie der Sache noch einmal annehmen, und zwar dringend! 

Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/de/stuecke/gefahrliche-liebschaften/173

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