Einer reicht, befand der britische Dramatiker Simon Stephens. „Vanya“, seine Bearbeitung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“, sieht für acht Charaktere nur einen Schauspieler vor. Dass das funktioniert, ist derzeit in Felix Bachmanns Inszenierung mit einem großartigen Oliver Mommsen an der Komödie Winterhuder Fährhaus zu erleben.

Die Kritik
Der Raum verströmt soliden Wohlstand: rechts ein gedeckter Esstisch, dahinter ein Kühlschrank, links die Wohnecke mit Sessel und Bücherregal, im Hintergrund eine schwere Doppeltür, die zwei bodentiefe Fenster trennt. Der Blick geht hinaus auf ein Birkenwäldchen, so viel Reminiszenz an Tschechow muss sein (Bühne: Kaspar Zwimpfer). Hier leben Ivan, genannt Vanya, seine Nichte Sonia, seine Mutter Elisabeth und die Haushälterin Marina. Manchmal oder besser: fast täglich schauen der verarmte Nachbar Liam und der befreundete Arzt Michael vorbei. Eigentlich wollte Ivan einmal Künstler werden, aber das hat nicht geklappt. Statt dessen verwaltet er das Landgut der Familie zusammen mit Sonia und unterstützt seinen Schwager Alexander finanziell. Der ist ein alternder Filmemacher, dem die Ideen ausgegangen sind. Mit seiner zweiten, deutlich jüngeren Frau Helena trifft er auf dem Landgut ein, und bei diesem Besuch offenbaren sich die unerfüllten Sehnsüchte, die Hoffnungen, Enttäuschungen, vor allem aber die Einsamkeit der einzelnen Figuren.
Das Lachen hat hier nichts Schenkelklopfendes, Lautes.
So ist das eigentlich immer in Tschechows Stücken. Trotz ihres melancholischen, sogar oft traurigen Grundtons hat der Autor sie doch als Komödien bezeichnet. Denn das Lachen hat hier nichts Schenkelklopfendes, nichts Lautes. Es ist vielmehr ein Lachen aus einer übergeordnetes, fast weisen Sicht auf das kleine, ja lächerliche Leben der Menschen. Diesen Aspekt hat Simon Stephens in seiner Bearbeitung noch verschärft. Indem er einen Monolog schreibt für einen Schauspieler, der alle acht Charaktere spielt, verstärkt er die Einsamkeit jedes und jeder Einzelnen. Jede Figur spricht jemanden an, der nicht da ist, und muss selbst deren Part übernehmen. Als Zuschauer:in ist man zunächst ein bisschen überfordert, weil man erstmal nicht genau weiß, wer wer ist und mit wem welche Beziehung hat. Da ist die Grafik mit ihren Pfeilen im Programmheft zu Felix Bachmanns Inszenierung anfangs durchaus hilfreich. Oliver Mommsen, vielen noch bekannt als Kommissar an der Seite von Sabine Postelt in früheren Bremer „Tatort“-Folgen, macht jedoch schnell klar, um welche Figuren es sich handelt: Da ist Liam, der sich meist unterm Tisch verkriecht und dem so ziemlich alles egal ist. Da ist die Haushälterin Marina mit Ruhrpott-Slang und derber Bodenständigkeit. Da ist Alexanders elegante, aber zurückhaltende Frau Helena und da ist die bärbeißige Mutter Elisabeth. Mommsen verstellt nicht seine Stimme, wodurch er die Charaktere schnell der Lächerlichkeit preis geben könnte. Statt dessen zeichnet er sie durch Körperhaltung und Sprechweise und nimmt sie ernst in ihren vergeblichen Hoffnungen: Sonia, die er schüchtern und unsicher zeigt, weil sie sich in den irgendwie fatalistischen Arzt Michael verliebt hat. Aber der liebt statt dessen Helena, was auch zum Scheitern verurteilt ist.
Es gibt viele komische Momente in dieser präzisen 90minütigen Inszenierung, und Mommsen zelebriert sie genüsslich. Doch das Zarte, Zerbrechliche der Figuren liegt ihm mindestens genauso. Als alle das Gut verlassen haben und nur der alte Kern zurückbleibt, ist es ausgerechnet die von ihrer Liebe enttäuschten Sonia, die er Tapferkeit und Zuversicht ausstrahlen lässt. Ganz still sagt sie, dass ja der Schmerz im Universum vergehe und: „Wir werden verstehen, dass unser Leben sanft war. Das glaube ich.“ Damit endet dieser berührende, kluge Abend. Leider nur noch bis zum 21. September 2025 in der Komödie Winterhuder Fährhaus zu sehen.
Weitere Informationen unter: https://www.komoedie-hamburg.de/veranstaltung/vanya/