Kein Weiß, nirgends. Die Familie, ja das ganze Dorf trägt Schwarz. Denn die anstehende Hochzeit fällt aus. Die Braut ist tot. Statt Hochzeitsfest gibt es eine Totenfeier. Mit dem für Hamburg adaptierten „Das alte Dorf“ gastiert die Wiener Volkstheatergruppe Nesterval beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel im Museumsdorf Volksdorf. Dumpfe Dörflichkeit, scheinbar in Stein gemeißelte Bauernregeln, Misstrauen und Ablehnung gegenüber allem Neuen, von außen Kommenden führen in eine Katastrophe, deren Ursachen, das Publikum in einer Zeitreise zu erkunden versucht.

Die Kritik
Irgendwie hatte man sich den Auftakt für ein Hochzeitsfest anders vorgestellt. Statt Vorfreude und Herzlichkeit blafft dem Gast mürrisch-steinerne Kälte entgegen. „Rückts z’ammen!“, schnauzt eine schwarz gekleidete Frau, denn möglichst jede und jeder sollte auf den schmalen Bänken in der Tenne des Bauernhauses Platz nehmen. Und eine Hochzeit gibt es auch nicht. Denn, so raunt eine Gestalt, die Braut, die Anna-Lisa, ist tot.Totenfeier statt Hochzeitsfest also.
Mit „Das alte Dorf“ gastiert die österreichische Gruppe Nesterval auch in diesem Jahr wieder beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Für Hamburg hat Nesterval ihr bereits für den Nestroypreis nominiertes Stück „Das Dorf“ adaptiert und bespielt das 1,5 Hektar große Museumsdorf Volksdorf. Die Produktion ist entsprechend aufwändig und kostspielig und kann daher nur an fünf Tagen – und nicht wie in den beiden vergangenen Jahren dreimal so lange – gezeigt werden. Der kurze Zeitrahmen führte dazu, dass alle Vorstellungen innerhalb von wenigen Minuten ausverkauft waren. Die Liebe zu Nesterval und dem immersiven Theater dieser queeren Volkstheatergruppe hat sich beim Publikum spätestens seit der bislang stärksten Produktion „Die Namenlosen“ im ehemaligen Kakaospeicher vor zwei Jahren fest etabliert. Nesterval bespielt ungewöhnliche Räume, verteilt das Publikum in kleinen Gruppen auf einzelne Performer:innen, denen man durch die Geschichte folgt und deren Perspektive man einnimmt. Das bedeutet, dass jemand aus einer anderen Gruppe eine ganz andere Version erlebt, die Geschichte wird aus verschiedenen Gesichtspunkten erlebt und betrachtet. Häufig genug haben sich deshalb Zuschauer:innen gleich für mehrere Vorstellungen angemeldet, bei „Das alte Dorf“ war das allerdings kaum möglich.
Johannes ist kein „Hiesiger“, sondern ein „Dosiger“, und das ist schon mal ein Problem.
So folgt man also den barschen Anweisungen seiner Hauptfigur und taucht mit ihr ein in eine Vergangenheit, die viel weiter entfernt scheint als das Jahr 1962, um das es hier gehen soll. Denn das Dorf ist abgeschieden, sich selbst genug und mauert gegen alles Fremde und Neue. Hier gibt es noch Pferdekutschen, hier sitzt man an gescheuerten Holztischen und auf harten Bänken, hier hat der Dorfvorsteher und überhaupt der Mann das Sagen. Die Bauerntochter Anna-Lisa will den Knecht Johannes heiraten, aber der ist nicht nur schlechter gestellt, der stammt auch nicht aus dem Dorf. Er ist kein „Hiesiger“, sondern ein „Dosiger“, und das ist schon mal ein Problem. Aus der Hochzeit wird aber bekanntlich nichts, denn die Braut ist tot. Feierlich wird ihr Leichnam im offenen Sarg mit einer Kutsche an den Gästen vorbei geführt. Wie es möglicherweise zu ihrem Tod gekommen ist, soll über eine Zeitreise erkundet werden. Genaue Ursachen wird man vielleicht nie erfahren, aber es gibt je nach Person, der man folgt, verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Ein akustisches Signal und die Ansage „Es wurde Nacht und es wurde Tag“ führt nach und nach zurück in die Tage vor der Hochzeit. Man taucht ein in die Dumpfheit, das Verschlossene und die kaum gezügelte Aggressivität der Dörfler, man erlebt, wie alles Ungewöhnliche, Fremde angefeindet und verfolgt wird. Die Verbindung zur Gegenwart lässt sich unschwer erkennen. Am Ende steht Tag eins, der Tag, an dem sich noch alle auf die Hochzeit freuen. Hätte der- oder diejenige anders gedacht und gehandelt… – ein anderes Ende wäre möglich gewesen. Mit Blick auf die Geschichte ließe sich eine bessere Zukunft gestalten. Mit dieser Vision endet der knapp dreistündige Abend und überlässt dem Publikum, wer wann was hätte ändern müssen.
Die Tickets für alle weiteren Vorstellungen von „Das alte Dorf“ sind bereits vergriffen. Weitere Informationen zum Sommerfestival unter: https://kampnagel.de/reihen/internationales-sommerfestival-2025