„Tiere isst man nicht“. Ist so eine Vergetarier-Weisheit, mag sich die oder der eine oder andere denken. „Tiere, die sprechen können, isst man nicht.“ Das ist allerdings ein Hammer-Argument gegen alle, die bislang am Fleischkonsum festgehalten haben. Wer „Die Weihnachtsgans Auguste“ in der Herz erwärmenden Inszenierung von Nora Schumacher am Ohnsorg Theater gesehen hat, wird in diesem Jahr vielleicht seine Menü-Pläne noch einmal überdenken.
Die Kritik
Schon erstaunlich, was mit „Nak Nak“ alles ausgedrückt werden kann. Hebt man am Ende die Stimme, wird es eine Frage. Stampft man dazu mit dem Fuß auf, wird es zum zornigen Ausruf. Es lässt sich aber auch ganz leise und zärtlich oder traurig sagen, und schon werden Zuneigung, Schüchternheit oder Enttäuschung deutlich. Auguste ist eine Gans und beherrscht all diese Spielarten. Außerdem spricht sie auch noch Platt, allerdings erstmal nur mit Peerle. Der hat sich schließlich dafür eingesetzt, dass sie nicht an Weihnachten als Braten serviert wird.
Womit wir mitten in der Produktion „Die Weihnachtsgans Auguste“ am Ohnsorg Theater wären, einem Märchen frei nach Friedrich Wolf. Der hatte 1951 in der damaligen DDR die gleichnamige Erzählung veröffentlicht. Die kam dann derart gut an, dass daraus später ein Hör-, dann ein Fernsehspiel und ein höchst erfolgreicher Film1987/88 entstanden, ein Puppenspiel und ein Theaterstück natürlich auch. Die Geschichte um die Weihnachtsgans Auguste war in der DDR der absolute Renner und könnte es in Hamburg auch werden. Denn Nora Schumachers kurzweilige wie poetische Inszenierung hat Witz, Tempo, geht sorgsam mit Details um und – was gar nicht genug betont werden kann – sie nimmt vor ihr Publikum ernst. Das bedeutet, dass sie auf die Vorstellungswelt von Kindern ab vier Jahren eingeht und sie zu verzaubern und zu unterhalten weiß. Das geschieht nicht nur über die Geschichte, sondern auch über Tanzeinlagen (Choreographie: Larissa Potapov) und Liedern nach verschiedenen Opern-Motiven (Musik und musikalische Leitung: Stefan Hiller), umgesetzt von einem sanges- und spielfreudigem Ensemble. Das geschieht aber auch über die liebevoll gestaltete Bühne (Katrin Reimers) und die farbenfrohen Kostüme (Krzysztof Sumera, Tabea Leonhardt, Andrea Oppenländer, Petra Spitzmann).
Bevor es richtig losgeht, vermittelt schon der geschlossene samtrote Vorhang die richtige Theateratmosphäre und ein aufgeregtes Kribbeln vor dem, was gleich geschieht. Kaum dass er aufgezogen wird, erscheint die Bühne als aufgeschlagenes Bilderbuch, das bei jeder Drehung einen neuen Raum zeigt, von der altmodischen Küche über das Kinderzimmer mit Doppelstockbett bis zum Keller, in den Auguste anfangs verbannt wird. Räume und Kostüme verweisen auf den Märchencharakter des Stücks. Bemerkt sei hier vor allem das weiße Kostüm der Gans Auguste mit Mütze, orangenem Schnabel und orangenen Watschelfüßen.
Auguste ist ein grundsympathisches Wesen mit akrobatischen Fähigkeiten.
Zwei Tage vor Weihnachten schleppt Vater Löwenhaupt (sehr komisch in seiner Tolpatschigkeit: Frank Roder) eine übergroßen Kiste mit nach Hause: eine Weihnachtsgans als Überraschung für die Kinder Peerle (zielstrebig und kompromisslos: Johan Richter) und Greta (begeisterungsfähig für die Ideen des Bruders: Juliane Krug). Das Problem ist nur, dass sie noch quicklebendig ist. In der Darstellung von Rabea Lübbe (sie wechselt wegen anderer Verpflichtungen im Haus mit Valerija Laubach) ist sie zudem ein grundsympathisches Wesen mit akrobatischen Fähigkeiten. Kaum ist Auguste der Kiste entstiegen, mischt sie bestens gelaunt die gesamte Küche von Haushälterin Therese (resolut und eine großartige Sängerin: Tanja Bahmani) auf und quittiert die Unmutsäußerungen der Erwachsenen mit einem entwaffnenden „Nak Nak“. Für Johan ist klar: „Tiere, die sprechen können, isst man nicht.“ Er geht mit der vor Kälte schnatternden Auguste im winterlichen Sturm spazieren (schön anzusehen vor einem blauer Vorhang mit Federn und Schneeflocken), befreit sie mit Greta aus dem Keller und nimmt sie mit ins Kinderzimmer. Mit Peerle beginnt Auguste sogar richtig zu sprechen, und zwar Platt. Ihrer Aufmerksamkeit ist es zu verdanken, dass die Familie einen Brand in der Küche entdeckt und Auguste schließlich nicht als Weihnachtsbraten endet, sondern sogar zum Familienmitglied erkoren wird.
Gerade mal 80 Minuten inklusive Pause dauert die Vorstellung und hat damit genau die richtige Länge für Kinder ab vier Jahre. In bester Vorweihnachtsstimmung verlassen sie und ihre Begleitpersonen das Theater am Heide-Kabel-Platz und erzählen hoffentlich allen Freundinnen und Freunden davon.
Ab Montag, 18. November, gibt es eine Wörterliste mit den plattdeutschen Begriffen zu „Die Weihnachtsgans Auguste“ online unter: http://: https://www.ohnsorg.de/theaterpaedagogik/
Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/die-weihnachtsgans-auguste/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- der Einsatz für ein Tier
FORMALE SCHWERPUNKTE
- Märchenhafter Realismus bei Bühne und Kostümen
- Musik- und Tanzeinlagen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 4 Jahre
ZUM INHALT
Zwei Tage vor Weihnachten bringt der Opernsänger Löwenhaupt eine lebendige Weihnachtsgans mit nach Hause, die die Haushälterin Therese am Weihnachtsabend als Braten servieren soll. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen Sohn Peerle gemacht. Der liest ständig in Vogelbüchern und schließt die sehr lustige und freche Gans, die er Auguste tauft, in sein Herz. Zusammen mit seiner Schwester Greta befreit er sie aus dem Keller und holt sie zu sich ins Kinderzimmer. Als Auguste am nächsten Tag die Gesangsprobe von Vater Löwenhaupt stört, beschließt dieser sie dennoch zu schlachten und verabreicht ihr vorher ein Beruhigungsmittel. Das macht aber alles nur noch chaotischer. Nur gut, dass Auguste in all der Aufregung einen Brand in der Küche bemerkt und so die Familie rettet. Damit hat sie sich aber auch vor dem Schlachten gerettet. Statt dessen wird sie jetzt offiziell zum Familienmitglied erklärt. Zu Weihnachten gibt es Pfannkuchen.