Ferdinand, der Stier

Schön und kräftig, furchtlos und kämpferisch – so muss ein Stier sein. Was aber, wenn einer zwar schön, kräftig und furchtlos, nur leider überhaupt nicht kämpferisch ist? Zu Alexander Klessingers mitreißenden und klugen Inszenierung von „Ferdinand, der Stier“ im Studio des Jungen Schauspielhaus.

Der größte Stier steht irgendwo dahinten (v.l.: Jara Bihler, Enrique Fiß, Lennart Lemster) – Foto: Maris Eufinger

Die Kritik

Das Ziel ist die Arena. Die Weide, na gut, die nimmt man als Stier eben so mit. Aber die ist etwas für den Durchschnitt. Die Arena dagegen – das ist schon ein ganz anderes Kaliber. Dort jubelt das Publikum, dort steht man im Zentrum, dort geht es um Kampf. Wer es hierhin geschafft hat, ist ein Star. 

Wirklich? Der amerikanische Autor Munro Leaf hatte da seine Zweifel. Sein 1936 erschienenes Kinderbuch „Ferdinand, der Stier“, das wegen seines Entstehungsdatum gern auch als Kommentar zum Spanischen Bürgerkrieg gelesen wird, erzählt von dem größten, aber irgendwie sagenumwobenen Stier namens Ferdinand, der mit Kämpfen so gar nichts anfangen kann. Ihn interessiert tatsächlich die von anderen als langweilig empfundene Weide mit ihren Blumen, den Insekten und der Ruhe. Mit seiner Friedfertigkeit steht er in krassem Gegensatz zu seinen Artgenossen, aber das ist ihm vollkommen egal. Zumal sie ihn ja wegen seiner Größe respektieren.

Was genau bedeutet ein Stierkampf für das Tier?

Der pazifistische Ansatz dieses Kinderbusch-Klassikers ebenso wie das Durchbrechen der Rollenerwartung stehen im Zentrum von Alexander Klessingers Inszenierung, einem Postgraduierten Projekt in Kooperation mit der Hamburger Hochschule für Musik und Theater.  Das Original wird hier nicht brav nacherzählt, vielmehr dient es Klessinger und dem Schauspieler Enrique Fiß als Grundlage für eine eigene Textentwicklung, zu der die Lyrics des Hamburger Rappers Inspektah einen wesentlichen Teil beitragen. Wer übrigens die entsprechende Seite des Jungen Schauspielhauses  (s.u.) aufruft, wird zur Playlist der Inszenierung weitergeleitet. In der Dreierkombination Klessinger, Fiß, Inspektah entsteht zusammen mit den Schauspielenden Jana Bihler und Lennart Lemster eine berührende, kluge und mitreißende Produktion, bei der das Ensemble sichtbar für das Publikum die Rollen der Stiere annimmt, manchmal aber auch aus der Rolle heraustritt, um – wie zum Beispiel Enrique Fiß – dem Publikum zu erklären, was genau ein Stierkampf für das Tier bedeutet. Das mag Erwachsenen ein wenig zu pädagogisch erscheinen, für die meisten jungen Zuschauer:innen sind diese Informationen dagegen neu und fesseln durch die Eindringlichkeit des Vortrags.  

Kampf ist angesagt. Kampf ist cool.

Ort der Handlung ist die mit Sand gefüllte, kreisförmige Bühnenmitte (Bühne und Kostüm: Marleen Johow). In roten Oberteilen und Turnhosen mit der Aufschrift „Torro“ absolvieren Bihler, Lemster und Fiß zu Beginn an deren Rand schweißtreibende Trainingseinheiten. Die Beates wummern, Inspektah rappt live Sätze wie „Probleme lösen wir hier mit der Faust und Gefühle halten auf“. Kampf ist angesagt, Kampf ist cool.

Dann beruhigt sich die aggressive Stimmung, vorsichtig betreten die drei Schauspielenden die Sand-Arena und setzen die Eckpfeiler für die Geschichte: die Hitze, die Langeweile, die Weide mit dem tollen Stier Rodrigo und die Welt dahinter, wo Ferdinand, der größte Stier, wohnt, von dem es heißt, er könne „Zwiebeln mit einem Blick zum Weinen bringen“. Ferdinand (Enrique Fiß) ist es, der den unsicheren Lukas (Lennart Lemster) bestärkt, zu sich selbst zu stehen und nicht den vorgestanzten Rollen des starken Stiers zu entsprechen. Doch dann wird ausgerechnet Ferdinand für die Arena auserkoren. Natürlich spielt er dieses Spiel nicht mit,  in dem der Mensch das Tier beherrscht und foltert. Er erfreut sich am Publikum, an den Blumen und strahlt. „Ich nehme mein Leben und ich mache mein Ding“, rappt Inspektah, „dieses Leben ist deins“. Und das Publikum, animiert vom Ensemble, steht auf und schwenkt die Arme. Ein positiver, bestärkender Schluss!

Gut, dass die Inszenierung ab dem 28. April auf die Großen Bühne des Jungen Schauspielhauses geht. Dann können sie noch viel mehr junge Menschen sehen.

Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/ferdinand-der-stier-10

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • sich seiner eigenen Stärken bewusst werden
  • das Leben selbst bestimmen
  • vorgefertigte Rollenmuster hinterfragen
  • Friedfertigkeit statt Kampfbereitschaft
Formale SchwerpunKte
  • Ein- und Aussteigen aus einer Rolle
  • Rap-Lyrics zur Unterstützung der Handlung/ der Stimmung
  • direkte Kommunikation mit dem Publikum
  • Statuen, Posen, Skulpturen zur Darstellung bestimmter Situationen oder Stimmungen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 10 Jahre, ab Klasse 5 
  • empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

In der Version am Jungen Schauspielhaus ist Ferdinand ein besonders starker Stier, der hinter der Weide lebt, auf der die anderen Stiere grasen. Ihn umgibt etwas Mythisches, weil keiner ihn schon einmal gesehen hat. Eines Tages trifft Lukas, ein kleiner, unsicherer Stier, auf Ferdinand. Es ist ausgerechnet Lukas’ Geburtstag, und Ferdinand erzählt ihm, was für ein Glück es für ihn ist, an diesem besonderen Tag, wo der Komet die Erde kurz berührt, Geburtstag zu haben. Durch das Treffen hat Lukas die Zeit vergessen und wird dafür von seinem Onkel und seiner Tante ausgeschimpft. Überhaupt meinen sie, dass er viel zu weich und gar kein richtiger Stier sei. Er bekommt die Kette seines Vaters geschenkt, die ihm Stärke vermitteln soll. Stärke – die kann man beweisen, wenn man in die Arena gewählt worden ist, meinen die anderen Stiere. Was aber wirklich mit den Tieren dort geschieht, wie sie systematisch vor den Augen des Publikums getötet werden, davon erzählen sie nichts. Eines Tages wird auch Ferdinand auserkoren für den Stierkampf in der Arena. Das Publikum johlt, es will den üblichen Tanz mit dem Matador sehen. Aber Ferdinand macht das, was er schon immer getan hat: Er riecht an den Blumen, genießt die Sonne und lächelt.

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Lektüre von Munro Leaf: Ferdinand, der Stier
  • Recherche zum Thema Stierkampf
Im Unterrichtsgespräch
  • Wie stellt ihr euch einen Stier vor? Welche Eigenschaften sollte er haben?
  • Gibt es bei Menschen ähnliche Verhaltensweisen?
Speziell für den Theaterunterricht
Eigenschaften über Gang und Bewegungen zeigen

Die Gruppe geht in neutralem Gang durch den Raum, die Spielleitung gibt bestimmte Eigenschaften oder Charaktere vor, die Gruppe soll einen entsprechenden Gang im mittleren Tempo 3 wählen (schüchtern, verträumt, wütend, kraftstrotzend, nervös , traurig , aggressiv, o.ä.)

Variation

Die Gruppe geht durch den Raum, die Spielleitung nennt eine Eigenschaft, die jede:r einzelne als Pose darstellt. Auf ein Zeichen der Spielleitung geht die Pose in eine Bewegung in Zeitlupe (Tempo 1) über, bis die Spielleitung die nächste Eigenschaft nennt. Hier können die gleichen Eigenschaften wie oben genommen werden.

Drängeln

Die Spielleitung teilt Fünfer-Gruppen ein. Jede Gruppe bildet einen engen Pulk. Die hinterste Person drängt sich nach vorne, wobei die Weggedrängten sich  weich zur Seite biegen. Dann drängt die nächste Person nach vorne usw.

Standbild bauen: 

Die Spielleitung teilt  eine Vierergruppe ein und demonstriert, was ein Standbild ist:  Die Personen stehen  frontal zum Publikum und nehmen möglichst verschiedene Ebenen ein. Durch Kontaktpunkte sind die Personen miteinander verbunden und suchen sich einen gemeinsamen Fixpunkt (unten, Mitte, oben). 

Erläuterung: Das  Standbild gibt dem Publikum durch Körperhaltung, Mimik, Gestik inhaltlich/thematische Infos , die auf der Bühne verhandelt werden sollen. Es ist ein eher abstrakte Statements.   

Aufgabe:

Arbeitet zu dritt/viert: Sucht euch  ein Gefühl und einen gemeinsamen Fixpunkt – zeigt das Gefühl als Standbild.

Achtet auf: gemeinsamen Fixpunkt; Kontaktpunkte, unterschiedliche Ebenen, frontale Position zum Publikum.

Präsentation

Skulpturen bauen

Die Spielleitung wählt eine Person, die in der Mitte eines Platzes eine von ihr ängstliche Haltung einnimmt. Eine weitere kommt dazu und versucht die Person zu schützen; eine weitere dazu, schützt ebenfalls;

Keiner darf den Zuschauern den Rücken zudrehen, die Skulptur muss dreidimensional sein und von allen Seiten gleichermaßen eindrucksvoll anzusehen sein. Es gibt keinen gemeinsamen Fixpunkt, jede Person Sicht ihren  eigenen. 

Skulpturen (Erläuterung) 

sind dreidimensional, dienen der abstrakten oder konkreten Verdeutlichung eines Themas/Begriffs über die Körper; dabei hat jede Figur einen eigenen Fixpunkt; mehrere Kontaktpunkte der Figuren zueinander, Gesichter und Mimik müssen sichtbar sein

Die Spielleitung teilt Dreier- oder Vierergruppen ein.

Aufgabe: 

Gestaltet eine Skulptur zu einem Begriff eurer Wahl.  Beachtet:

  • alle drei Ebenen
  • mehrere Kontaktpunkte der Figuren untereinander
  • Dreidimensionalität
  • Körperhaltung: Umsetzung des Gefühls/ des Zustandes, den die Skulptur vermitteln soll
  • jede Figur mit einem eignen Fixpunkt
  • alle Gesichter und deren Mimik müssen sichtbar sein.

Präsentation durch Herumgehen um Skulptur

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