Fräulein Julie

Es heißt, dass Gegensätze sich anziehen. Aber dann stoßen sie sich ab, gehen aufeinander zu, bekämpfen und verletzen sich in einem immerwährenden Machtkampf. Zu Torsten Fischers konzentrierter Inszenierung von  August Strindbergs „Fräulein Julie“ in den Hamburger Kammerspielen. 

Machtkampf zwischen Fräulein Julie (Judith Rosmair) und Diener Jean (Dominque Horwitz) – Foto: Daniel Devecioglu

Die Kritik

Die da oben. Das sind die mit den schweren weißen Kassettentüren und den Messingklinken. Ein grau schimmernder, brusthoher Absatz trennt die gut situierten Bürger von denen da unten. Die haben nämlich auf der höheren Ebene eigentlich nichts zu suchen. Es sei denn, sie arbeiten als Domestiken im Haus der Bürger. Wer dort hinauf will, muss schon Anlauf nehmen und in einem wettkampfreifen Stütz die höhere Ebene erklimmen.

Hierhin gehört Fräulein Julie, die titelgebende Figur aus August Strindbergs Kammerspiel. Dieses laut Strindberg „erste naturalistische Trauerspiel der schwedischen Dramatik“ sorgte Ende des 19. Jahrhunderts für Aufregung: Standesschranken wurden durch die unmögliche Affäre zwischen einem Dienstboten und einer höheren Tochter durchbrochen, der Kampf der Geschlechter in all seinen Spielarten aufgefächert.

Das Machtspiel zwischen den beiden Figuren steht im eigentlichen Zentrum.

An den Hamburger Kammerspielen ist jetzt die auf zwei Figuren konzentrierte und behutsam modernisierte Fassung von Torsten Fischer (Regie), Herbert Schäfer (Ausstattung) und Judith Rosmair zu sehen.  Die Produktion von Renaissance-Theater Berlin und Euro -Studio Landgraf verweist zwar mit dem Bühnenbild noch auf die sozialen Unterschiede, doch steht mit oben und unten das Machtspiel zwischen den beiden Figuren im eigentlichen Zentrum. Da ist zum Beispiel Jean (Dominique Horwitz). Lässig schlendert er aus dem Zuschauerraum auf die Bühne, Sonnenbrille und Jacket machen ihn eher zu einem Playboy als zu einem Diener. Er kann sich einiges erlauben, denn seine Arbeitgeber sind wegen des Mittsommerfestes außer Haus. Selbstverständlich nimmt er sich irgendwann den guten Rotwein und gibt einer nicht sichtbaren Christine Order für ein Essen. Nur bleibt die Frage, wie real das und alles Folgende tatsächlich ist. Denn Jean beginnt, kaum dass er die Bühne betreten hat, tranceartig zu tanzen. Shigeru Umebayashis „Yumejis Theme“ aus dem Film „In the Mood for Love“ erklingt dazu und wird im weiteren Verlauf die Szenen zwischen Jean und Fräulein Julie grundieren. Julie (Judith Rosmair) erscheint in hochelegantem Schwarz mit Reitgerte auf der höheren Ebene. Auch sie bewegt sich langsam und sehr sinnlich, lässt aber Jean wie eine Marionette nach ihrer Gerte tanzen. Beide scheinen disponiert für eine Affäre, und so beginnt ein Spiel zwischen Flirt und Demütigung, Begeisterung und Kränkung, bei dem mal der eine, mal die andere die mächtigere Position innehat.

Abhauen! Ein Hotel am Comer See betreiben! Frei sein! – Das ist ihr Traum.

Judith Rosmairs Julie ist eine zarte, aber offenbar mit allen Wassern gewaschene Frau. Eine verwöhnte Göre, für die Jean ein leichtes Spiel ist. Sie muss nur ihn nur ein wenig umgarnen und schon macht er, was sie will. Aber kaum dass sie Sex miteinander hatten, ist er es, der sie als „Nutte“ demütigt und sich gegen sie behauptet. In diesem Kampf um Selbstbehauptung wird jedoch vor allem deutlich, wie sehr Jean und Julie aus den ihnen zugeteilten Rollen und den festgefahrenen Strukturen ausbrechen wollen. Abhauen! Ein Hotel am Comer See betreiben! Frei sein! – Das ist ihr Traum, der dann wahlweise von ihm oder ihr wieder mit Worten zerstört wird. Judith Rosmair, 2007 vom Fachblatt Theater Heute zur Schauspielerin des Jahres gewählt, lotet feinfühlig alle Stimmungen ihrer Figur aus: Sie ist überlegen, ironisch, kalt, dann wieder sanft und zart, macht ihre Verletzungen und zerstörten Hoffnungen spürbar. Dominique Horwitz, wie Rosmair lange Ensemble-Mitglied des Thalia Theaters und unvergessener Stelzfuß im „Black Rider“, demonstriert auch stimmlich seine Macht, differenziert in dem Kampf mit Julie aber nur wenig. Am Ende des nur 70minütigen Abends wiederholt sich das Anfangsbild: Jean bewegt sich wie im Trance und schwärmt von Julies Art zu tanzen. Julie erscheint vor den weißen Türen mit der schwarzen Gerte und bestimmt seinen Tanz. War alles nur ein Traum? Oder wird Jean immer wieder Frauen wie Julie begegnen? Werden Mann und Frau immer wieder den gleichen Kampf ausfechten? Das mag jede und jeder für sich selbst beantworten.

Weitere Informationen unter: https://hamburger-kammerspiele.de/programm/fraeulein-julie/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • der Kampf der Geschlechter
  • Machtspiele
Formale SchwerpunKte

Demonstration von Macht  und Ohnmacht durch

  • Posen
  • Verwendung der unterschiedlicher Ebenen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • für Theatererfahrene, ab 16 Jahre, Klasse 10/11 
  • empfohlen für Theaterunterricht
Zum Inhalt

Die für diese Inszenierung verkürzte Version konzentriert sich auf Folgendes: 

Zum Mittsommernachtsfest ist das  Haus des Gutsbesitzers verwaist. Nur seine Tochter Julie und der Diener Jean sind noch da. Die sehr selbstbewusste Julie hat gerade ihrem Verlobten den Laufpass gegeben, jetzt beginnt sie, mit Jean zu flirten. Jean schwärmt für sie und die Art wie sie tanzt, beide kommen sich näher und es beginnt ein Spiel zwischen Schmeicheleien, Begierde und Demütigungen und Verletzungen. Tatsächlich aber wollen beide nur ihren festen Rollen entfliehen. Als Lösung bietet sich Julie nur der Tod.

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Inhalt von „Fräulein Julie“
  • Recherche zu Biografie und Werk von August Strindberg
  • Recherche zu unterschiedlichen Interpretationen von „Fräulein Julie“
Speziell für den Theaterunterricht
Ausdruck von Macht und Ohnmacht über Posen

Die Spieler:innen stellen sich paarweise auf und proben drei verschiedene Posen, bei denen der Übergang von einer zur anderen fließend ist:

A dominiert B

B dominiert A

A dominiert B

Ausdruck von Macht und Ohnmacht in Bewegungen

Gestaltet einen Tanz zwischen A und B. In diesem Tanz wechseln die Machtverhältnisse. Wählt dafür eine passende Musik.

Präsentation von ausgewählten Paaren und Feedback.

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